Für alle Nicht-Lateiner: Damit ist Echtheit gemeint bzw. die Übereinstimmung zwischen dem, was wir einander mitteilen (wollen), und dem innerem Zustand bzw. unsern Gedanken und Gefühlen. Im Idealfall geben sich Menschen so, wie sie sind. Manchmal aber sind wir alle froh, wenn Menschen nicht gerade alles aussprechen, was ihnen in den Sinn kommt. Nun, für Kinder ergeben sich oft Probleme, wenn Erwachsene nicht authentisch sind. Das kommt leider sehr häufig vor: Sie tun so, als würde ihnen die Zeichnung gefallen, als würden sie den Lärm locker ertragen, als mache es ihnen nichts aus, schnodderige Antworten zu bekommen, als sei zwischen Mami und Papi alles im grünen Bereich usw. In der Regel verschonen die Eltern die Kinder in der besten Absicht. Sie meinen zu wissen, was Kinder ertragen können und was zu viel ist. Was Kinder am allerwenigsten ertragen, sind Eltern, die sie nicht fassen können, die ihnen etwas vorspielen, und sie dann nicht wissen, ob sie auf die Worte oder auf die Gedanken reagieren sollen.

Ich möchte euch ermutigen, auch dann authentisch zu sein, wenn ihr vielleicht einmal nicht so vertrauenspädagogische Gedanken habt. Für die Kinder ist es viel einfacher, eine wütende Mama zu ertragen, als eine, die zwar innerlich kocht, aber äusserlich "Ruhe" bewahrt. Wie soll ein Kind auf so etwas reagieren? In der Regel provozieren sie dann so lange, bis die wahren Gefühle dann doch noch aufbrechen. Wieso denn nicht gleich? Also anstatt in süssem Ton: "Ui ui ui, da ist aber Mama ein bisschen traurig, dass das Geschirr noch nicht abgewaschen ist. Kommt, ich helfe euch." könnte man sagen: "Das macht mich jetzt echt sauer, diese Unordnung. Jetzt muss ich mich zusammennehmen, zu fragen anstatt auszuflippen: Wieso sieht das hier noch so aus?"

So sind die echten Gefühle auf dem Tisch. Das Kind kann sich darauf einstellen. Oft versteht es uns besser, wenn wir uns aufregen, als wenn wir scheinbar ruhig bleiben. Was allerdings bleiben sollte, ist die echte Frage, anstatt der vorschnelle Vorwurf.

Es ist für ein Kind kein Problem, wenn die Eltern sich nicht einig sind und ein Streitgespräch führen. Wie anders sollen sie lernen, auf gute Art zu streiten? Natürlich gibt es hier Grenzen, aber die Extreme sind häufig: Auf der einen Seite Kinder, die mitansehen, wie Eltern sich verletzen, und auf der andern Seite jene Eltern, die ihren Kindern den Prozess der Meinungsbildung vorenthalten, weil sie meinen, gute Eltern müssten sich immer einig sein. Diese Vorstellung stammt vielleicht aus dem militärischen Denken. Im Kampf muss man zusammenstehen, aber das Familienleben sollte ja eben kein Kampffeld sein.

Wenn du Lehrkraft bist, gilt das Obige umso mehr: Hier brodelt es ja auch oft nur unter der Oberfläche. Zeige deine Gefühle, sei echt, aber frage dennoch, bevor du in deinen Gedanken Schuldzuweisungen machst.