Kürzlich hörte ich einer Pädagogin zu, die erzählte, wie sie den Verzicht auf Belohnung und Bestrafung umsetzt. Nicht wahr, es tut immer gut, wenn man die eigenen Gedanken von jemand anderem hört. Man fühlt sich bestärkt in seiner Meinung.
Dann aber erzählte sie, was sie tat, als ihr Vater einem ihrer Kinder sagte: “Wenn du etwas übrig lässt im Teller, heisst das, dass du keinen Hunger hast, dann bekommst du auch kein Dessert.” Die Absicht dieses Opas ist offensichtlich. Mit dieser Massnahme wollte er erreichen, dass das Kind aufisst. So machte man das früher. Mir geht es wie dieser Pädagogin. Mir gefällt es, wenn Kinder merken, wann sie genug haben. Foodwaste kann man anders verhindern. Wo ich ihr dann aber nicht mehr folgen konnte, war beim Punkt, wo sie sich für ihr Kind einsetzte: Es sollte nicht bestraft werden, wenn es nicht aufass und sollte nicht auf das Dessert verzichten müssen. Der Opa zeigte sich einsichtig und auch in der Schule erreichte sie, dass Lehrkräfte sich überzeugen liessen, auf Belohnungen und Bestrafungen zu verzichten. Offensichtlich gelang es ihr zu überzeugen. In mir bleibt dennoch ein Unbehagen.
Wenn wir als Eltern auf Belohnungen und Bestrafungen verzichten, wenn es uns ein Anliegen ist, dass sich unsere Kinder bedingungslos geliebt fühlen, dann sind wir auf einem guten Weg. Wenn wir aber unseren Kindern vorenthalten, sich beim Grossvater, im FC, in der Schule usw. anzupassen, dann erweisen wir ihnen einen Bärendienst. Sie sollen lernen, Regeln zu übernehmen, ohne sich dabei schlecht zu fühlen. Ja, und sie sollen Druck und Strafen nicht vorschnell als Liebesentzug und als Zurückweisung interpretieren, sondern als Aufforderung sich anzupassen. Wie fatal wäre es doch, wenn ihr Kind an Opas Liebe zweifeln würde, nur weil seine Erziehungsmethoden etwas verstaubt sind. Kinder sind in der Lage, sich den abstrusesten Situationen anzupassen. Längst nicht immer tut ihnen das gut. Ich denke an Kinder von kranken oder gar süchtigen Eltern, die Verantwortung für sich und ihre Geschwister übernehmen müssen.
Es kann nicht die Aufgabe der Eltern sein, dem Kind eine Welt einzurichten, wo ihm Adaptionsprozesse “erspart” bleiben. Kinder brauchen solche Erfahrungen und es ist an uns Eltern und Grosseltern, ihnen dabei zu helfen. Dr. Gordon Neufeld beschreibt die Fähigkeit von Menschen, sich an Unabänderliches anzupassen, als zentralen Reifungsprozess.
Viele Jugendliche unserer Zeit ertragen es nicht, wenn sie in der Lehre Arbeiten erledigen müssen, die ihnen nicht gefallen. Andere können damit locker umgehen. Sie fühlen sich weder herabgesetzt noch gar gedemütigt. Und ja, manchmal ist es wichtig, Widerstand zu leisten, gegen den Strom zu schwimmen, aber dann soll es nicht aus mangelnder Reife geschehen.
Mache deinen Kindern bewusst, dass sie stolz darauf sein können, wenn es ihnen gelingt, schwierige Situationen hinzunehmen, Frustrationen zu überwinden, ohne sich als Verlierer oder gar als Opfer zu fühlen.
Im Podcast liest uns Heinz Etter den Refresher vor und stellt sich im Anschluss den Fragen von Claudia Feierabend.
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