Refresher
"Ich habe die Dienstleistungen schon ziemlich heruntergefahren, aber es bringt alles nichts." Das sagte letzthin eine Frau zu mir, die nicht verstand, warum ihre Tochter auf Oppositionskurs blieb. "Keine Join-up-Intervention funktioniert." Einmal mehr musste ich an jene Stelle im Buch denken, die man leicht missverstehen kann, und ich nahm mir vor, die Sache im nächsten Rundbrief zu thematisieren. Nun, wann soll man die Dienstleistungen herunterfahren? Dann, wenn ein Kind das Bewusstsein verloren hat, dass es die Eltern braucht, und sich innerlich von den Eltern distanziert hat, wie es oft vorkommt, wenn Kinder gleichaltrigenorientiert sind, wenn Druck und Gegendruck Alltag geworden sind, wenn es Eltern nicht gelingt, mit den Kindern überhaupt ins Gespräch zu kommen, ja, dann kann es sinnvoll sein, ein Zeichen zu setzen. Zum Beispiel so: "Bis wir uns einig sind, wie der Morgen sich abspielen soll, möchte ich dich nicht mehr wecken. Es ist für dich und für mich so nur eine Belastung." Solange aber das Gespräch möglich ist, ist eine solche Massnahme ziemlich sicher kontraproduktiv.
Es ist wichtig, dass wir die Eltern-Kind-Beziehung als Liebesbeziehung wahrnehmen. Wir alle haben ein Gefühl dafür, dass Liebesbeziehungen sich nicht mit gewissen Dingen vertragen. Drohungen zum Beispiel oder gar Ultimaten. Ganz allgemein ist es das Wesen von Liebesbeziehungen, dass es eben keinen Druck braucht. Druck beschädigt die Liebesbeziehung, genau so wie Beschimpfungen und Anklagen. Unter Erwachsenen ist uns das klar, namentlich unter Verliebten. Denken wir aber daran, dass es heute noch Kulturen gibt, wo es üblich ist, Frauen zum Gehorsam zu zwingen. So fremd uns das jetzt ist, so fremd sollte es sein, Kinder zum Gehorsam zu zwingen. Sobald wir uns bewusst sind, dass die Eltern-Kind-Beziehung eine Liebesbeziehung ist, bzw. sein sollte, wird es uns leicht fallen, gewisse Verhalten loszulassen.
Was ist die Alternative zum Druck? In einer hierarchischen Liebesbeziehung, in einer Join-up-Beziehung also, gibt es sehr wohl Wege, einander zu beeinflussen: Ich gebe Anweisungen, äussere Wünsche, verbiete usw. Das Kind, das in richtiger Weise an mich gebunden ist, wird solches nicht leichtfertig übergehen. Und wenn doch? Ja, dann ist Beziehungsarbeit dran und nicht Druck. Dann ist die zweite Meile* dran und nicht das Herunterfahren der Dienstleistungen.
* siehe Infobrief 13-03
"Meine Kinder streiten viel. Jedes hat das Gefühl, zu kurz zu kommen." Solche Aussagen begegnen mir sehr häufig. Wir haben deshalb am Trainertreffen intensiv über das Phänomen Neid und Eifersucht nachgedacht. Hier ein paar Ergebnisse in Thesenform. Es sind keine gesicherten Erkenntnisse, vergleicht sie mit euren Erfahrungen und steigt ein in die Diskussion darüber in der Live Sendung nächsten Montag und im Facebook.
1. Je "gleicher" die Kinder sind, die zusammen sind, desto eher entwickelt sich Konkurrenz statt Kooperation und desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Neid und Eifersucht. Hört dazu den Bericht von Mirjam im Video.
2. Je sicherer die Bindungen zu den Eltern sind, desto weniger tritt Neid auf, oder umgekehrt: Je mehr Kinder das Gefühl haben, sich die Zuneigung der Eltern durch Wohlverhalten und Leistung sichern zu müssen, desto eher treten Neid und Eifersucht auf.
3. Je grösser das Wir-Gefühl ist, desto weniger tritt Neid auf. "Hilfst du mit? Wir kochen Rogers Lieblingsmenu. Er hat heute einen schweren Tag. Das tröstet ihn."
4. Je unreifer Kinder sind, desto eher neigen sie dazu, auf "Ungerechtigkeit" mit Neid zu reagieren.
5. Ältere Kinder und Erwachsene binden sich oft an Dinge anstatt an Menschen - das ist dann der Nährboden für Neid, Habgier und Ausbeutung. Sichere Bindungen an Menschen und an Gott, Annahme ohne Vorbedingungen bewirken mehr als das Beklagen oder Bekämpfen des Neides und seiner Geschwister.
6. Neid und Eifersucht kennen wir alle. Sprechen wir darüber, damit wir sie als Beziehungsanzeiger lesen lernen und entsprechend reagieren können.
"Wenn einer von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei Meilen mit ihm!" Diese Bibelstelle aus dem fünften Kapitel des Matthäus-Evangeliums ist eine von denen, die ich erst seit kurzem in ihrer Tiefe zu verstehen beginne. Erst seit ich mich intensiv damit auseinandersetzte, was es braucht, damit Beziehungen tiefer und fester werden können, statt langsam zu erodieren und im Zerbruch oder in der Gleichgültigkeit zu enden. Es geht in diesem Vers darum, was Beziehungen nährt. Die erste Meile, die ich mit ihm gehe, gibt ihm das, was er - zu Recht oder zu Unrecht - einfordert. Sie nährt die Beziehung nicht, sie verhindert, dass sie sich verschlechtert, und beugt somit allfällige Unannehmlichkeiten vor. Ganz anders die zweite Meile: Sie ist es, die ich freiwillig mitgehe. Sie nährt nicht nur mein Gegenüber, sondern auch mich selber. Dieses Prinzip, das Jesus mit dem Vers vom Rock und dem Mantel unterstreicht, liegt dem Reich Gottes zugrunde. Es ist das Prinzip der unverdienten Gnade, das vielleicht in unseren Kopf passt, aber für unser Herz nur schwer zu fassen ist, es sei denn, wir fangen an, unseren Alltag danach auszurichten.
Wie oft reagieren wir Eltern auf das, was unsere Kinder fordern, und fühlen uns entsprechend unter Druck oder gar ausgenutzt. Hast du dir schon überlegt, wie es wäre, wenn du deinem Kinde mehr gibst als es einfordert? Wenn du spontan und aus eigenem Antrieb gibst? Einfach, weil du es willst und weil du spürst, wie gut das tut? Wenn du nachfragst, dir Zeit nimmst, bevor dein Kind darum bettelt oder sich resigniert zurückzieht, weil das Betteln so demütigend ist? Hast du dir schon überlegt, wie es sich anfühlen würde, mit deinem Mann oder deiner Frau die zweite Meile zu gehen? Wie könnte das konkret aussehen? Auf jeden Fall würde sich das Reich Gottes dadurch ausbreiten.
"Wann thematisierst du wieder einmal etwas für ältere Kinder?", fragte mich kürzlich eine Frau. "Unsere Kinder sind Teenies!" Hier also ein Thema, das für uns alle ist, Erwachsene inklusive - und es geht an den eigentlichen Kern von VP heran: Wenn wir Menschen führen wollen, dann müssen wir in die Beziehung investieren. Unser Ziel darf es also nicht länger sein, das Verhalten unseres Kindes zu beeinflussen, sondern die Beziehung zum Kind zu vertiefen.
Heute Morgen hat mich Tabea Lüthi angesprochen und mir von einer faszinierenden Erfahrung berichtet. Und zwar hat ihre VP Gruppe - inspiriert durch die Lektüre des Buches von Gordon Neufeld - versucht, den Tag auf eine neue Weise zu starten. Anstatt die Kinder zu wecken, sie gleich anzuleiten, anzuspornen oder gar anzutreiben, sich einfach einmal Zeit nehmen für das Kind, so quasi bevor noch der Tag mit seinen Anforderungen beginnt. Dies, um die Beziehung statt die Anweisungen in den Vordergrund zu stellen. Wie genau das zu und her ging, erzählt uns Tabea in unserem aktuellen Vidocast, den ihr unten anklicken könnt.
Bei älteren Kindern ist das vielleicht nicht eins zu eins zu übernehmen, aber auch hier gilt: Es ist viel besser, die Energie in die Beziehungspflege zu investieren, als in die Steuerung der Kinder. Wenn sie im Join-up sind mit uns, wird Gehorsam sich für sie gut anfühlen, ja und sie werden auch mal etwas tun, wozu sie gar keine Lust haben, einfach "weil du es bist". Das gleiche gilt auch in der Ehe. Was investieren Eheleute doch manchmal in lange Auseinandersetzungen, wo jedes die eigenen Bedürfnisse kommuniziert und den Frust darüber, dass der Partner oder die Partnerin diese meine Bedürfnisse zu ignorieren scheint. Wie wäre es mit einer unerwarteten Einladung zu einem Nachtessen zu zweit? Wie wäre es mit dem Erfüllen eines längst weggesteckten Wunsches? Kleine Zeichen wirken manchmal Wunder. Auch eine gute Gebetszeit miteinander. Es reicht ja nicht, die gegenseitigen Bedürnisse zu kennen, es braucht auch den tiefen Wunsch, diese über die eigenen zu stellen, und den kann man nicht herbeidiskutieren. Er ist immer ein Geschenk.
Die Erziehung ohne Zuckerbrot und Peitsche ist nicht immer einfach. Was machen wir denn, wenn ein Kind uns nicht gehorcht? Es einfach lassen? Hat das keine Konsequenzen? Die skeptischen Blicke von anderen Eltern, Freunden und Verwandten sind uns gewiss. Der Vorwurf, wir würden unsere Kinder verwöhnen, wird bald laut. Tatsache ist, dass wahrer Gehorsam aus dem tiefen Herzen heraus eine Frage der Beziehung und der Reifung ist. Ein Kind wächst in den Gehorsam hinein, wenn es eine tiefe Beziehung zu den Eltern hat (oder einfach: wenn es im möglichst dauerhaften Join-up ist) und wenn es verständiger geworden ist und gelernt hat, wie bedeutsam Gehorsam ist. Von deiner Seite her sind zwei Dinge notwendig:
- Liebe und - als besondere Form davon - Geduld
- Gespräche mit dem Kind über den Gehorsam, bei denen du das Kind coachst darüber, wie wichtig Gehorsam ist. Besprich auch Situationen, in denen es mit dem Gehorchen nicht so geklappt oder eben geklappt hat.Bedenke dabei aber, dass möglichst viel Freiraum für das Kind hilfreich ist, um selbständig zu werden. Gib also keine Anweisungen, die nicht zwingend nötig sind.
Bis dein Kind so reif ist, dass du es über Gehorsam unterrichten kannst, lass es möglichst gar nicht zum Ungehorsam kommen. Dabei reicht es meist aus, dass du sicher führst und dass die Frage, wer wen braucht, geklärt ist.In Fällen, in denen das nicht ausreicht, ist es schön, wenn du so kreativ bist, dass es gar nicht zur Auseinandersetzung kommt. Das Kind lässt die teure Vase nicht in Ruhe? Stell sie auf einen Schrank. Dein kleiner Schatz kommt nicht, wenn du zum Essen rufst? Schau, was er gerade macht, bestimmt ist er total ins Spiel vertieft und sieht die Notwendigkeit zum Essen nicht. "Bis du den Legoturm fertig gebaut hast, können wir schon noch warten." Es ist nicht nötig, nun ernst und streng zu werden. Im Gegenteil: Je seltener du für dein Kind als "Gegnerin oder Gegner" auftrittst, desto früher wird reifer, echter und freiwilliger Gehorsam die Frucht davon sein.
meine!
"Mami, spielst du mit mir Uno?" – eine alltägliche Frage, vielleicht auch in deinem Leben. Die Gedanken, die dir dabei kommen, sind indes hoch interessant. Vielleicht sagst du "ok" und spielst mit, obwohl es dir stinkt und du eigentlich viele Dinge vor dir herschiebst. Vielleicht ist die Frage aber auch eine willkommene Ablenkung von lästigen Pflichten. In beiden Fällen kann es sein, dass du zwar mitspielst, aber nur mit halbem Herzen und entsprechend wenig Begeisterung. Dein Kind wird das wahrnehmen und vielleicht in einen unangenehmen Zustand kommen, der zum einen deine Beklemmung spiegelt und zum andern sich etwa so anfühlt: "Mami spielt jetzt zwar mit mir, und ich sollte doch jetzt glücklich sein, aber irgendwie ist es doch nicht schön." Und es sieht keine Möglichkeit, an der Situation etwas zu ändern. Viele Kinder sind in solchen Situationen frustriert und reagieren plötzlich aggressiv. Das wiederum ärgert dich, und du sagst dir: "Da nehme ich mir Zeit, und dann wird man auch noch angemotzt. Mein Kind sollte jetzt doch dankbar und glücklich sein, wenn ich mich schon opfere." Und du nimmst dir vielleicht vor oder sagst es laut: "Das nächste Mal kannst du Uno spielen mit wem du willst!" Wie befreiend wäre dazu im Vergleich die folgende Antwort gewesen: "Oh, tut mir leid, jetzt habe ich gerade den Kopf so voll von andern Dingen. Da wäre ich ein übler Spielkamerad." Meine Enkel zum Beispiel haben erstaunlich viel Verständnis dafür, dass ich lieber Klavier als Playmo spiele. Ich habe mich entschieden, nur noch mit ihnen zu spielen, wenn ich ein ganzes Ja dazu finde. Manchmal muss ich mir zwar einen kleinen Schupf geben... Du weisst schon, wie ich es meine. Was dieser Gedanke mit Weihnachten zu tun hat, werden wir im Video thematisieren.
Eine Grenze gesetzt zu bekommen, ist für uns alle immer wieder frustrierend. Unsere Pläne werden durchkreuzt. Auch Kinder haben ihre Pläne und Absichten. Sie zu durchkreuzen sollte für uns nicht Routine sein. Je tiefer die Bindung des Kindes an uns ist, desto eher lassen Kinder das zwar zu, aber wir alle sollten die Zahl solcher Aussensteuerungen auf ein Minimum beschränken. Wenn wir das im Gefühl tun, vom Kind ein Opfer zu verlangen, und dieser Gedanke unseren Tonfall prägt, wird das deinem Kind nicht entgehen. "Tut mir wirklich leid für dich, aber jetzt müssen wir gehen." Es hat die Chance, seinen Gehorsam als "Verzichtsleistung" zu begreifen anstatt als Niederlage.
Erkenne umgekehrt, wenn du dich gedrängt fühlst, dich durchzusetzen, dich auf einen Machtkampf einzulassen, weil du Angst hast, die Kontrolle zu verlieren.
Rituale sind so hilfreich. Ein Kind, das weiss, dass es Nachtessen gibt, wenn der sechs Uhr Bus um die Ecke fährt, braucht nicht herbeigepfiffen zu werden. Es kommt, weil es seine eigenen Pläne dieser Struktur anpassen konnte. Besprich doch den Tagesablauf immer wieder mit deinen Kindern. Je mehr sich Kinder mit den Strukturen identifizieren, desto leichter fällt es ihnen, sich darauf einzustellen. Nimm möglichst jene Dinge weg, die von aussen eure Abläufe beherrschen wollen. Ein DVD-Player z. B. zeigt seine Geschichten, wann ihr es wollt. Beim Fernseher ist es umgekehrt.
Ich möchte in der nächsten Zeit ein paar Inputs zu diesem Thema gestalten. Wir alle kommen immer wieder in die Lage, unserem Kind nein zu sagen. Wie ein Kind darauf reagiert, hängt sehr stark damit zusammen, wie dieses Nein daherkommt. Viele Eltern haben ein Problem damit, klar zu führen. Sie fühlen sich gedrängt, ihr Kind mit Argumenten zu überzeugen. Lies dazu vielleicht nochmals den Input 12-04. Andere sehen den Widerstand ihres Kindes voraus, sie laden ihr Nein emotional auf, und es kommt dann "streng" daher. Es enthält gleichzeitig die Drohung: "Wehe, du akzeptierst das nicht." Kaum kommt Widerstand des Kindes, wird der Ton aggressiver. Der Machtkampf ist lanciert. Ob du als Elternteil klein beigibst oder dich druckvoll durchsetzest, ändert nichts daran: Eine solche Situation ist nicht geeignet, ein Kind im Join-up zu halten oder gar, es dahin zu führen. Lies dir das folgende in einem liebevollen Ton vor: "Oh, ich sehe, du würdest lieber noch etwas spielen hier. Traurig, dass wir gehen müssen, aber es ist so." Wichtig ist, dass du dich aus der Vorstellung lösen kannst, dass dein Kind dir eine klare Führung übel nimmt. Im Gegenteil! Ein Kind liebt es, wenn es weiss, was von ihm erwartet wird. Entscheidend ist, dass sein Gehorsam von dir als Opfer anerkannt und gewürdigt wird.
"Wie wollen wir die Hausarbeiten aufteilen während der Ferien?" Eine solche Frage kann viel Segensreiches bewirken. Wir alle neigen dazu, die Ferienzeit mit Hoffnungen und Erwartungen aufzuladen, und klagen einander an, wenn diese sich nicht erfüllen. Frust breitet sich aus, der sich je nach Temperament als Enttäuschung oder Wut Ausdruck verschafft. "Was ist denn für dich wichtig, dass es gelungene Ferien gibt?" Wenn alle das sagen dürfen, gibt es sicher einen guten Weg. Vielleicht aber auch nicht, und wir merken, dass nicht alles machbar ist. Diese Erkenntnis hat dann Zeit, einzusinken und betrauert zu werden, und die Sicht auf das Mögliche wird frei. Noch ein wichtiger Tipp: Macht euch vom Wetter möglichst nicht abhängig. Plant einmal eine Wanderung bei jedem Wetter. Wir waren letztes Wochenende bei Regen in der Weissenbach-Schlucht. Kennt ihr die Düfte im Wald bei Regen? Herrlich! Ein Kind ist sogar noch in den Bach gefallen und wanderte dennoch fröhlich mit einer "unten montierten" Jacke zurück. Welche Wonne, die nassen Kleider auszuziehen.
"Meine Kinder sind fast gleich alt und streiten immer. Was kann ich da tun?” fragte mich jemand als Reaktion auf den Infobrief 12-06.
Fürsorglichkeit ist ein angeborenes Verhalten. Kein Kind muss das lernen. Ausgelöst wird das Verhalten durch die Konfrontation mit einem hilfebedürftigen, verletzlichen Wesen. Das kann ein Kätzchen sein, aber auch ein Wurm auf der Strasse ;-). Löst der fast gleichaltrige Bruder dieses Verhalten aus? Oft nicht, wie wir alle wissen. Ob Fürsorglichkeit und Anlehnung dennoch zum Tragen kommt, hängt auch viel von deiner Führung als Mami oder Papi ab.
Wie erlebt dein Kind deine Führung? Als Machtanspruch oder als Angebot von Fürsorglichkeit und Coaching? Wenn ein Kind ein Führungs- oder auch ein Unterstützungsangebot ablehnt, ist das unter Umständen sehr verletzend. Das kennen wir als Eltern nur zu gut. Wie reagierst du auf solchen Widerstand? Mit "Ok, ich sehe, du hast deine eigenen Pläne..." oder dann mit liebevoller Beharrlichkeit oder eher mit Frustration?
Das ist unter Kindern ähnlich, und es ist wahrscheinlich dass ein grösseres Kind eher frustriert und aggressiv ist als du, weil es noch unreif ist. Sich selber und Kinder in diese Art der freilassenden Fürsorglichkeit zu führen, ist wohl die effizienteste Art Gehässigkeiten (nicht Konflikte) unter Kindern zu vermeiden.
Erlebst du es manchmal, dass du deinem Kind viel Liebe schenkst, viel Zeit und Aufmerksamkeit und dein Kind dir dennoch das Gefühl gibt, es sei nicht genug? Fühlst du dich manchmal von deinem Kind ausgesaugt? Vielleicht bist du ein Mami oder ein Papi "on demand", das heisst, das Kind hat aus irgendeinem Grund das Gefühl, dafür sorgen zu müssen, dass eure Beziehung intakt ist. Mami, mach, Mami, komm, Mami, ich will... Solche gemeinsamen Zeiten nähren ein Kind nicht. Sein Hunger nach einem Gegenüber, das ihm Halt und Orientierung gibt, wird nicht wirklich gestillt. Versuche einmal, den Spiess umzudrehen. Gehe du deinen Weg und lade das Kind ein, an deiner Seite zu sein. Nimm es mit in deine Welt, wo du im Alpha bist. Das sind Zeiten, die ein Kind in seinem Bindungsbedürfnis nähren. Solche Zeiten werden auch dich weniger auslaugen. Vielleicht geht deine Arbeit langsamer voran als ohne Kind, aber die erfüllende Gemeinschaft macht das mehr als wett.
Und noch etwas: Gib einem Kind nicht mehr als du hast. Sobald dir die Gemeinschaft mit dem Kind lästig ist, nährt sie das Kind nicht wirklich. Es spürt die innere Distanz und beginnt erst recht, zu klammern. Also: Hüte dein Herz, dann ist auch für das Herz deines Kindes gesorgt.
"Ah, jetzt ist es mir klar, warum das nicht funktioniert!" sagte mir eine junge Frau letzthin nach einem Vortrag. "Ich treffe mich oft mit ein paar Müttern, deren Kinder auch etwa zwei Jahre alt sind. Die Idee wäre, dass wir zusammen ein bisschen plaudern können, während unsere Kinder zusammen spielen. Regelmässig geht das aber daneben, weil wir die ganze Zeit den Streit unserer Kinder schlichten müssen."
Ja, sowas geht selten gut, denn kleine Kinder sind nicht für das Spielen mit Gleichaltrigen gemacht (Wir bekommen ja unsere Kinder wohl deshalb i. d. R. nicht aufs Mal, sondern nacheinander.).
Dafür sind wir designed, nämlich für das Leben in einer gleichwürdigen Hierarchie im Wechsel zwischen dem Anlehungsmodus und der Fürsorglichkeit. Entweder für andere schauen oder selber betreut werden. Das ist auch in guten Ehen so. Niemand hält es aus, immer nur für andere zu sorgen, und niemand hält es aus, nie für andere sorgen zu dürfen.
Ist dir auch schon aufgefallen, wie schön verschiedenaltrige Kinder zusammen spielen können? Wie dein Kind aufblüht, wenn es ein kleineres betreuen kann? Und wie schön es ist, wenn dein Kind sich im Fankreis eines älteren Cousins sonnt?
Man könnte das ja ein bisschen steuern. Leider sind aber Kinder wie Eltern mit der problematischen Sicht unterwegs, dass "Gleich und Gleich sich gern gesellt". Wir suchen deshalb alle nach Gleichaltrigen und müssen es dann aushalten, wenn uns Neid und Konkurrenzdenken das Leben schwer machen.
Wenn man Kinder (und auch Erwachsene) beschimpft oder anklagt, reagieren sie in aller Regel mit Verteidigung und Gegenwehr oder gar mit Aggression. Seltener mit dem echten Eingeständnis von Schuld und der entsprechenden Bereitschaft zur Umkehr. Wieso ist das so?
Menschen denken und handeln auf zwei Motiv-Ebenen. Die eine, tiefer liegende Ebene bestimmt das Handeln. Da sind nicht immer nur edle Motive wirksam. Auf der anderen Ebene ist unsere "Zurechtlegung", jene Motive also, die mir gefallen und die ich auch gerne kommuniziere. Sie sind in meinem Bewusstsein, die anderen verbannen wir gerne in die Dunkelkammer unseres Gehirns. Deshalb finden die Menschen ihr eigenes Handeln in der Regel ok.
Klagt man uns an, dann entfalten wir unsere Zurechtlegung wie der Pfau sein Rad. Die unedleren Motive geraten noch mehr in den Hintergrund. Wir fühlen uns je länger je mehr im Recht und je nachdem als bedauernswertes Opfer, und somit sind wir weiter entfernt von der Einsicht als vor der Zurechtweisung.
"Meinrad hat auch... Ich habe nur...", so beginnt vielleicht die Antwort auf die elterliche Rüge. Dass er verbotenerweise den Compi eingeschaltet hat, tritt in den Hintergrund. Der Kopf ist ausgelastet mit dem Ausbreiten der entlastenden Umstände. Der Gedanke, dass er doch tun darf, was sein Bruder tut, tritt in den Vordergrund, und dass es nicht ok ist, ihn zu beschuldigen ohne gleichzeitig Meinrad verantwortlich zu machen. Und die Beschränkung des Computergebrauchs an sich wird ihm als scheussliche Willkür immer deutlicher vor Augen stehen...
Ja, aber was wäre die Alternative zum Schimpfen in dieser Situation? Je tiefer die Beziehung zu deinem Kind ist, je mehr sich dein Kind angenommen fühlt trotz seiner dunklen Seiten, je mehr du fragst anstatt zu urteilen oder gar zu unterstellen, desto eher wird es sich getrauen, einen Blick in die unteren Schichten zu wagen, zu bereuen und umzukehren. Entwicklung kommt aus der Annahme - nicht umgekehrt.
Diskutieren oder entscheiden
"Nein, kein Guetzli vor dem Essen. Das verdirbt dir nur den Appetit."
"Aber Mami, das sind Apéro Snacks, schau, sie fördern den Appetit sogar. Lies selber."
"Das ist mir egal, ich habe nein gesagt und fertig."
Kennst du diese Situation? Du möchtest gerne das Einverständnis deines Kindes, anstatt ein Verbot auszusprechen. Du möchtest dein Kind überzeugen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Weil es dir aber nicht gelingt, schiebst du dann das Verbot hinterher und vielleicht sogar noch mit einem leicht genervten Unterton. Dieses Vorgehen ist heikel, denn damit frustrierst du dein Kind unnötigerweise. Du erweckst den Eindruck, dass man über ein Thema diskutieren könne und wechselst dann während des Games die Regeln, weil die Argumente des Kindes besser sind als deine. Entscheide und begründe deinen Entscheid – oder diskutiere mit deinem Kind und versuche, es zu überzeugen, dann aber ziehe es durch. Du verlierst dein Gesicht dabei nicht.
"Ok, wenn das so ist… Lass mich auch eines probieren."
Kinder haben kein Problem, wenn wir als Eltern klar sagen, was wir wollen und was nicht – im Gegenteil. Sie geniessen es, wenn Eltern klar führen. Es fällt ihnen dann auch viel leichter, die Vergeblichkeit des Widerstandes zu fühlen. Es ist schön, aber nicht immer zwingend oder möglich, zu begründen, warum wir so denken.
„Ich möchte keine Gewaltspiele auf dem PC."
"Hallo, alle meine Kollegen spielen das!!"
"Es tut mir leid, wenn ich bei diesem Thema bis jetzt zu wenig klar war. Hattest du dafür Auslagen?"
"Ja, ..."
"Ok, das lege ich für dich aus. Du bist es mir wert."
"Ja, aber…"
"Schau, ich erkläre dir das gerne, aber jetzt musst du zuerst einmal deinen Frust verdauen. Frag mich, wenn du soweit bist."
Stelle dir vor, dein Kind schüttet aus Unachtsamkeit ein Glas Sirup auf den Esstisch aus. Ist deine Reaktion gleich, wenn der Sirup anstatt auf dem Esstisch auf deiner Auslegeordnung mit Schriftstücken landet? Natürlich nicht, denn du bist ja gehörig frustriert. Wenn du jetzt dein Kind beschimpfst, dann ist das zwar "normal", aber dennoch unfair, denn sein Anteil ist ja in beiden Fällen gleich. Beide Male hat es einfach ein Glas Sirup ausgeschüttet. Dass die Blätter auf dem Tisch lagen, macht die Folgen gravierend, aber die "Schuld" des Kindes ist beide Male die gleiche. Die Vorstellung, es hätte doch achtsamer sein sollen angesichts der Blätter auf dem Tisch, scheint mir wenig realistisch.
Schön wäre es, wenn du in Bezug auf das Kind beide Male gleich reagieren würdest, aber einen guten Weg fändest, mit deiner Frustration umzugehen, die sich ja zwangsläufig aus den sich wellenden Dokumenten ergibt. Schön wäre es, wenn du dafür sorgen würdest, dass das Kind deine Wut nicht auf sich bezieht. Das würde es nämlich automatisch tun. Das könnte sich dann etwa so anhören: "Nein, wie sehen diese Blätter aus!!! Das ist wirklich ein Katastrophe. Du, Stefan, kannst ja nichts dafür, dass die Blätter hier lagen, ich bin einfach frustriert, dass sie jetzt so aussehen. Putze du bitte den Sirup auf, und ich rette die Blätter, so gut es geht." Wenn du Mühe hast, dir das vorzustellen bzw. umzusetzen, dann stelle dir doch in solchen Situationen vor, das Missgeschick sei einem väterlichen Freund passiert.
Es ist ganz allgemein wichtig, dass wir als Eltern uns immer wieder bewusst machen, wie wir selber mit unseren Frustrationen umgehen. Gordon Neufeld, dessen Entwicklungspsychologie passgenau VP vertieft, rät uns, wir sollten uns mit unseren Frustrationen arrangieren, mit ihnen rechnen wie mit vertrauten und doch immer wieder überraschenden Gästen. Er rät uns, Worte für die Frustration zu finden, anstatt jemanden anzuschreien. Meistens, wenn Eltern schreien, schreien wir aus Frust und nicht, weil wir hoffen, eine Veränderung im Kind zu erwirken.
Kleine Kinder sind nicht loyal. Das heisst, sie tun das, was ihnen richtig erscheint. Das ist im Normalfall das, was die Eltern ihnen sagen. Oft aber auch nicht. Wenn man sie bedroht mit Strafen oder eine Belohnung in Aussicht stellt, ändert das für sie in der Regel die Sachlage, und sie verhalten sich wunschgemäss - oder auch nicht. Auf jeden Fall sind sie nicht in der Lage, um deinetwillen ihre eigenen Interessen hintanzustellen - eben loyal sein. Das werden Kinder erst mit etwa drei oder vier Jahren. Leider sind aber in diesem Alter viele Kinder schon so daran gewöhnt auf "Zuckerbrot und Peitsche" zu reagieren, dass die Loyalität gar nicht zum Tragen kommt. Es ist deshalb wichtig, die kleinen Kinder so zu führen, dass sie im Join-up bleiben.
Wie aber soll man sie denn führen? Viele Eltern alarmieren ihre Kinder, indem sie ein energisches Nein sagen, wenn es etwas tut, was es nicht soll. Das soll einen Lernprozess auslösen. Oft weiss ein Kind dann aber nicht genau, wo das Problem ist. Mehrmalige Versuche des Kindes, Klarheit zu bekommen, was genau denn jetzt mit "nein" gemeint ist, interpretieren die Eltern dann oft als Provokation. "Er weiss genau, dass er die Kerze nicht anfassen darf, aber...".
Hilfreicher ist es, dem Kind die richtigen Gefühle und Motive zu vermitteln - so quasi induktiv, ähnlich wie ich es beschrieben habe beim Trösten des Opfers im Infobrief 11-11. "Au, schau, diese Kerze darf man nicht herumtragen, sonst läuft der Wachs raus und tut dir weh." Verbunden mit den entsprechenden Gefühlsäusserungen von Besorgtheit um die Kerze und um das Kind, spürt ein Kind, wie kostbar, schön, aber auch gefährlich sie ist, selbst wenn es die Worte noch nicht versteht. Vielleicht darf es die Kerze auch einmal ganz vorsichtig mit dir zusammen halten.
Diese Art der Führung stärkt die Beziehung. Lass auch die Angst los, dass dein Kind gerade die Oberhand gewinnt, wenn du den Gehorsam nicht durchsetzen kannst. Löse dich von der unseligen Idee, "konsequent" sein zu müssen. Oder auch davon, immer sofort eine gute Lösung zu haben. Entspanne dich im Umgang mit deinem Kleinkind. Es ist jederzeit sofort bereit, mit dir über den eben verübten Blödsinn zu trauern. Das ist viel wertvoller als irgendwelche Strafreize zu setzen.
Das Wort stammt nicht von mir, und es steht auch nicht im Buch. Aber es gefällt mir. Ein junger Mann, der als Jungschileiter einen Kurs besucht hat, hat es spontan verwendet. Es gefällt mir deshalb, weil man merkt, dass es nicht das selbe ist wie die "Auszeit". Viele Eltern schicken ja ihre Kinder weg, um sie zu bestrafen, wenn sie sich nicht recht benehmen. Beziehungsfasten ist etwas anderes. Hier geht es darum, einem Kind, das im Widerstand ist, bewusst zu machen, dass die Beziehung ihm ja eigentlich etwas bedeutet. Beispiele:
- Ein Kind, das das Gespräch verweigert, weil es sich der Abhängigkeit nicht mehr bewusst ist.
- Ein Kind, das nicht motiviert ist, eine Lösung für ein Problem zu finden.
Für so ein Kind kann es sehr hilfreich sein, wenn die Eltern ihre Dienstleistungen und Hilfestellungen herunterfahren, immer aber mit diesen Worten und (!!) Gedanken: "Ich würde dir gerne bei den Hausaufgaben helfen, aber ich möchte, dass wir zuerst das Problem mit dem Facebook so regeln, dass es für beide stimmt." Natürlich muss das alles ehrlich gemeint sein. Also nicht so: "Ich helfe dir erst wieder, wenn du in Sachen Facebook klein bei gibst." Das sieht zwar äusserlich sehr ähnlich aus, ist aber in Wirklichkeit so verschieden wie Tag und Nacht. Ein Kind wird diese Haltung auch dann herausspüren, wenn man VP-Formulierungen gebraucht. So etwa müssten deine Gedanken sein:
- Ich will wirklich ein Lösung, die auch für mein Kind stimmt. Je tiefer unsere Beziehung ist, desto mehr werden deine Argumente für das Kind Gewicht haben.
- Meine "Dienstleistungen" sind für mich keine mühsame Pflicht, sondern Dinge, die ich meinem Kind "zu Liebe" tue. Der Verzicht darauf ist auch für mich ein Verzicht.
- Ich zeige meinem Kind auf anderen Wegen, dass unsere Beziehung stärker ist als alle Schwierigkeiten und dass ich immer auf seiner Seite bin. So vielleicht: "Wir werden eine Lösung finden, aber wir wollen keine Instant-Lösung, die dann niemanden befriedigt."
- Es ist hilfreich, das Beziehungsfasten nicht stur durchzuziehen. Ein Kind, das merkt, dass die Eltern sich ebenso freuen, bis es vorbei ist, wird in seiner Loyalität gefördert. Es geht eben gerade nicht darum, um jeden Preis konsequent zu sein. Das Kind soll sich nicht deshalb einklinken, weil der Druck zu gross ist, sondern weil es sich bewusst wird, wie wichtig ihm die Beziehung ist und dass es sich lohnt, dafür etwas zu investieren und Kompromisse einzugehen.
Wie du siehst, braucht es fürs Beziehungsfasten eine gewisse Reife. Mit Kindern unter drei bis vier Jahren sollte man grundsätzlich nicht auf Distanz gehen, bzw. sie zur Strafe wegschicken oder gar -sperren, höchstens einmal, um sie vor dem elterlichen Zorn zu schützen und so noch grösseren Beziehungsschaden zu vermeiden. Kleinkinder sind nicht in dem Sinn loyal, dass sie es uns recht machen wollen. Sie bauen unseren Wunsch in ihr Denken ein oder eben nicht, aber sie verzichten nicht aktiv auf etwas, um es uns recht zu machen. Kleine Kinder kann man beeinflussen, wenn sie spüren, dass es uns ernst ist und dass wir auf ihrer Seite sind, auch dann, wenn Kinder quer stehen und zornig sind. Je näher uns die Kinder sind, je tiefer die Bindung ist, desto besser werden sie reifen können. Wenn wir das Vertrauen der Kinder erhalten, bis sie etwa vier sind, beschenken sie uns mit ihrer Loyalität, ein Join-up auf einer neuen Ebene.
Wüsstest du so schnell, was der Unterschied ist? Nun, so will ich hier ein paar Dinge auflisten, die dir vielleicht helfen:
- VP geht davon aus, dass Kinder jenen (meistens) gehorchen, mit denen sie im Join-up sind. Wenn man Kinder mit Belohnungen und Bestrafungen, Beschimpfungen und Demütigungen zum Gehorsam zwingen will, vertreibt man sie aus dem Join-up. Viele Kinder fügen sich diesem Druck, solange sie klein sind (oder auch nicht), aber es entwickelt sich nicht jene Beziehung, die sie als junge Menschen so dringend brauchen. "Mein Freund will unbedingt mit mir schlafen." Mit wem wird eine 17-jährige darüber reden? Welch eine Gnade, wenn es die Eltern sind und nicht ihre "Freundinnen".
- Weil die Kinder oft nicht im Join-up sind mit den Lehrkräften, orientieren sie sich an den Gleichaltrigen. Sie übernehmen deren Werte, deren Haltungen und auch deren Sprache. Viele Kinder fürchten sich mehr davor, in der Schule ausgegrenzt zu werden, als vor einem Konflikt mit dem Lehrer oder den Eltern.
- Eltern, die loyal sind mit ihren Kindern und mit der Loyalität der Kinder rechnen und diese nicht durch Misstrauen, Druck und Beschämungen untergraben, helfen ihren Kindern, dass sie sich vor lauter Anpassung an die Gleichaltrigen nicht selber verlieren, sondern an ihren Werten festhalten können und bereit sind, für ihre Haltungen einzustehen, auch wenn sie dafür Opfer bringen müssen.
- Eltern, die VP umsetzen wollen, schimpfen nicht in pädagogischer Absicht, sondern höchstens, um allenfalls ihrem Ärger Luft zu machen. Sie wissen, dass Beschimpfungen Menschen nicht zur Einsicht und Umkehr führen, sondern zur Verteidigung und Rechtfertigung. Verhaltensänderungen sind meist sehr kurzlebig.
- Sie beschränken sich in der Krise auf Schadensbegrenzung und nehmen dann Einfluss, wenn Friedenszeit ist, wenn die Herzen wieder offen sind.
- Sie fühlen sich nicht verpflichtet, immer eine Lösung für ein Problem zu haben und allzeit alles im Griff zu haben. Wer liebt, muss bereit sein, auf Kontrolle zu verzichten. Das gilt nicht nur mit Kindern, sondern unter Menschen ganz allgemein.
- Sie führen klar und mutig und sagen ihren Kindern, was sie denken, aber sie wissen, dass sie den Gehorsam letztlich nicht erzwingen können. Gott verzichtet auch darauf. Er hat deshalb Seinen Sohn auf die Welt gesandt und uns angeboten, mit IHM ins Join-up zu kommen. ER hat dafür die Voraussetzungen geschaffen, nicht wir.
In diesem Sinne wünsche ich euch eine gesegnete Weihnachtszeit, dass ihr Zeit und Musse findet, eure Familienbande wieder enger zu knüpfen, aber auch jene an unsern geliebten Herrn. Im Join-up mit IHM können wir die Angst loslassen, unsere Kinder könnten uns entgleiten...
Du erinnerst dich an den letzten Infobrief? Dort ging es darum, dass es in einer Krisensituation wenig Sinn macht, erziehen zu wollen. Dort geht es um Schadensbegrenzung. Aber im Einzelfall ist es oft nicht so einfach. Deshalb hier als Beispiel ein solcher Einzelfall:
Remo (3) hat eben wieder die kleine Jael (halbjährig) gekniffen und geschlagen. Seine Mama kommt dazu. Normalerweise überfallen sie in einer solchen Situation aggressive Gefühle gegen Remo. Vor allem deshalb, weil es in letzter Zeit häufig vorkommt. Je mehr sie versucht, Einfluss zu nehmen, desto schlimmer wird es. Sie weiss ja, dass Schimpfen nichts nützt und deshalb sagt sie nur: "Remo, das tut Jael weh. Du darfst sie nicht plagen." Aber sie spürt, dass das keine Wirkung hat. Oft wiederholt sich das Ganze schon kurz danach. Was könnte sie denn tun? Was können wir ihr aus Sicht der Vertrauenspädagogik raten?
"Deine negativen Gefühle gegen Remo melden sich immer schon, bevor deine fürsorglichen Gefühle für Jael sich melden. Versuche, zuerst die fürsorglichen Gefühle für Jael zu aktivieren. Geh auf sie zu und sage vielleicht: 'Oh, habt ihr Streit gehabt? Wow, das ist traurig. Tut es dir fest weh?! Komm, Mama und Remo trösten dich... arme Jael.' Du hast recht gelesen. Man kann in einem solchen Fall den Aggressor sofort fürs Trösten gewinnen. Remo wird im Normalfall sofort deine fürsorglichen Gefühle aufnehmen und dich beim Trösten unterstützen. Für ein dreijähriges Kind ist das kein Problem. Er liebt Jael ja auch, aber wenn er sich über sie aus irgend einem Grund ärgert, dann verliert er das aus dem Fokus. Wenn du ihn beschimpfst, ruft das natürlich seine Liebe nicht ins Bewusstsein. Wenn du aber fürsorgliche Gefühle für Jael hast und dir über Remos Aggression zunächst keine Gedanken machst, wird die brüderliche Fürsorglichkeit ganz schnell aktiviert. Wenn dann die Kleine getröstet ist und Remo sich freut, dass ihr zwei so gut zusammengewirkt habt, dann ist der Moment gekommen zu fragen: "Was war denn los, Remo?" Dann kann es sein, dass du etwas erfährst, was ihn bewegt hat, sie zu schlagen. Wahrscheinlich weiss er es selber nicht mehr so genau. Dann lass die Belehrungen und sage höchstens: 'Gell, das ist so traurig, wenn du sie schlägst und kneifst.' Seine Zustimmung ist sehr wahrscheinlich."
Wenn eine Mama so vorgeht, ist die Chance gross, dass sich die Situation bessert. Mir geht aber noch etwas anderes durch den Kopf. Eigentlich sollte die kleine Jael nur ausnahmsweise ausserhalb von Mamas Blickfeld mit Remo zusammen sein. Ihr bester Platz wäre im Tragetuch auf dem Rücken ihrer Mutter oder einer anderen erwachsenen Person. Dort wäre sie nicht immer im Zentrum der Aufmerksamkeit, wäre beim Arbeiten nicht im Weg und wäre gesättigt durch Nähe und Geborgenheit, die beste Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung.
Und keine Angst, man kann ein Kind so nicht "verwöhnen". Es gibt nie ein Zuviel an Geborgenheit. Wenn Jael auf dem Rücken ist, dann ist vorne der Blick frei für Remo und für die Hausarbeit, die sie zusammen machen können, bevor dann in der Pause alle - gesättigt durch Nähe - eigene Wege gehen können.
Zweifelst du manchmal, ob denn das Vertrauenspädagogik sei, was du machst? Bist du manchmal unsicher und verlierst aus den Augen, worauf es ankommt? Dann wird dir der heutige Infobrief eine Hilfe sein. Es geht um die Frage, wie ich in einer Krisensituation reagiere.
Stell dir vor, du bist eben dazugekommen, wie dein zweijähriges Kind mit dem Filzstift deine Türe signiert hat. Wenn du verhaltensorientiert bist, wirst du dich erinnern, dass es jetzt darum geht, sofort zu reagieren, sofort einen Strafreiz zu setzen, damit dein Kind für immer weiss, dass das nicht ok ist. Du wirst "wissen", dass deine Reaktion unmittelbar erfolgen muss und nicht erst später, damit der Zusammenhang beim Kind klar ist. Du wirst zum Beispiel energisch den Filzstift aus seiner Hand nehmen und in schroffem Ton sagen: "Das darfst du nicht. Schau, was du gemacht hast!!" Dann ist die Sache für dich abgeschlossen. Du verlässt dich auf die abschreckende Wirkung deiner Massnahme. Wenn nicht, dann wirst du beim nächsten Einsatz des Filzschreibers sagen: "Mei, mei, wenn du wieder an die Türe malst, muss das Mami fest schimpfen," damit das Kind sich an den Strafreiz erinnert. Je mehr du an der Wirkung dieser Warnung zweifelst, desto energischer wirst du sie vortragen.
Wenn du vertrauenspädagogisch unterwegs sein willst, dann wirst du in dieser Situation ja trotzdem emotional sein. Und Adrenalin wird auch in deine Adern schiessen. Und vielleicht wirst du wütend und aggressiv. Dann rate ich dir Folgendes: Richte deine Wut und deine Aggression nicht gegen das Kind, sondern gegen das Ereignis. Je schneller du von der Wut in die Traurigkeit wechseln kannst, desto besser. Traurigkeit ist eine Emotion, die nicht anklagt und die dein Herz und das deines Kindes weich erhält. Und du sagst dann vielleicht in traurigem Ton: "Wow, schau, dieser Strich darf hier nicht sein, der stört mich. Den wollen wir schnell wegmachen." Dann holst du am besten zwei Lappen, einen für dich und einen für dein Kind. Schau, dass du während der ganzen Zeit deine Konzentration beim Schaden behältst und deine Traurigkeit darüber spürbar bleibt. Sie wird im Herzen des Kindes ankommen. Nicht als Anklage, sondern als Orientierungshilfe. Und deshalb wird das Kind frei sein, zu lernen. Du weisst: In der akuten Situation belehre ich mein Kind nicht, denn jetzt regieren die Emotionen. Erst später, wenn ich selber und das Kind wieder ruhig sind, kann bewusste Beeinflussung geschehen. Zum Beispiel so: "Mit dem Filzstift musst du am Tisch bleiben. Sonst schreibt er wieder an die Wand. Darf er das? Nein. Genau, er darf nur hier am Tisch auf das Papier schreiben."
Dieser Umgang wird deine Beziehung zum Kind stärken. Es wird deshalb motiviert sein, deine Sicht der Dinge zu übernehmen und mitzuhelfen, dass der Filzer keinen Schaden anrichtet.