Refresher
«Philipp, ich möchte, dass du die Spielsachen im Wohnzimmer aufräumst!» - «Wieso ich? Lara hat mit diesen Sachen gespielt.» Vielleicht kennst du diese und ähnliche Situationen, in denen Kinder nicht bereit sind, eine Aufgabe für andere zu übernehmen oder Verantwortung für andere zu tragen. Vielleicht geht die Geschichte so weiter: Philipp gehorcht zwar widerwillig, schleudert die Spielsachen seiner kleinen Schwester aber achtlos und unsortiert in eine grosse Kiste. Einzelne Teile zerbrechen oder verbiegen und alles landet irgendwo im Kinderzimmer anstatt am richtigen Ort.
«Was ist daran falsch», wirst du vielleicht denken, «wenn jeder in der Familie Verantwortung für seine eigenen Sachen übernimmt?» Im normalen Leben ist es doch auch so. Wer die Küche benutzt, räumt sie nachher auf. Wer einem Mitmenschen den Kaffee über das teure Jackett leert, bezahlt die Reinigung. Wer einen Unfall verursacht, kommt für den Schaden auf. So ist das Gesetz!
Es gibt aber weit Grösseres als das Gesetz. Jesus hat es uns vorgelebt. Er, der König der Welt, kam, um uns Menschen ohne Eigennutz zu dienen. Wie können wir unseren Kindern helfen, ihm ähnlich zu werden? Wie können wir ihnen Werte wie Liebe, Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein vermitteln? Wie können wir ihnen helfen, das freudlose «Verursacherprinzip» zu überwinden?
Zum einen haben Kinder ein Recht darauf, dass wir ihnen etwas zutrauen und zumuten. Sie dürfen und sollen die «Komfortzone verlassen». Zum zweiten haben Kinder - wie auch wir Erwachsenen - jeden Tag neu die Wahl, wie sie ihr Leben in den Dienst anderer stellen wollen: mit ständigem Jammern und dem stetigen Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, oder mit einem Gefühl der Freude. Ich wünsche uns allen, dass wir uns für die Freude entscheiden!
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 24. April 2017
Komfortzone verlassen
- Es gibt Situationen, in denen wir als Eltern den Kindern Anweisungen geben oder sie bitten: «Könntest du bitte den Tisch decken?» und ein Widerwille vonseiten der Kinder kommt zurück.
- Wie gehen wir als Eltern mit Widerwille um?
- Als Eltern erledigen wir viele Arbeiten, welche wir wegen der Kinder tun müssen - sie haben z. B. die Unordnung verursacht - und das kann uns frustrieren.
- Teilweise haben wir das Gefühl, dass wir den Kindern nicht zu viel zumuten dürfen und wollen ihnen Freiheit geben.
- Wir haben oft Hemmungen, unsere Kinder einzubeziehen und ihnen eine Aufgabe zu geben, die sie erledigen können.
- Wo fängt der Bereich an, wo das Kind die Komfortzone verlassen soll, wenn es eben eine Arbeit tun sollte, die ihm keinen Spass macht?
- Wir müssen uns häufig selber dazu entscheiden, gewisse Arbeiten gerne zu erledigen. Denn wenn wir das nicht schaffen und auch unsere Kinder nicht, dann ist es schwierig, Dinge, die einfach zum Alltag dazugehören, zu erledigen. Dann haben wir ein Leben, wo wir ständig Dinge erledigen müssen, die wir nicht gerne machen.
- Die Entscheidung, die Arbeit gerne zu machen, weil sie einfach zum Leben gehört, ist wichtig.
- Wenn wir es schaffen, unseren Kindern zu vermitteln, dass sie ein Teil des Kollektivs bzw. der Familie sind und nicht einfach ein Gast oder Zuschauer, dass sie gebraucht werden, dann haben wir viel erreicht.
- Wenn Kinder die Gemeinschaft spüren und wir ihnen Aufgaben anvertrauen, die sie auch erledigen können, dann erleben sie, dass sie ein Teil der Familie und wichtig für die Familie sind.
Fragen und Inputs
- Wie findet man die Balance zwischen Dem-anderen-Dienen und Sich-selber-nicht-Vergessen?
Jeder muss sich in der Familie wohlfühlen. Jeder hat aber auch seine Grenzen. Gerade als Eltern verzichten wir auf vieles und haben ein bisschen den Dienstmodus. Ich kann dem anderen keinen guten Dienst erweisen, wenn ich nicht auch zu mir schaue. Das müssen wir auch bei den Kindern beachten. Aber es gibt Raum, wo es jedem wohl sein muss. Wenn alle die Freiheit haben, zu tun und machen, was sie wollen, dann kann ich als Elternteil frustriert oder sogar gekränkt sein, es kann mir zu viel werden. Auch wir als Eltern brauchen Balance. Es geht nicht um Druck ausüben, sondern darum, ein Gefühl von Kollektiv weiterzugeben. Man kann nicht immer Spass haben bei allen Aufgaben, dann wird es schwierig, vielleicht auch später in der Arbeitswelt.
- Teenager macht Aufgaben «oberschludrig». Wie kann man damit umgehen?
Diese Thematik kommt ja häufig auch bei Kleinkindern vor. Was ist uns als Eltern wichtig? Die Schule nimmt einen wichtigen Platz ein. Die Eltern spüren Druck und geben ihn auch den Kindern weiter. Der Schuldruck kommt häufig nicht von den Lehrern, sondern vor allem von den Eltern. Den Eltern ist oft die Schule sehr wichtig. Sie wollen, dass die Kinder die Hausaufgaben erledigen. Und wenn dann das Kind kommt und sagt: «Oh, ich kann nicht helfen, ich muss noch Hausaufgaben erledigen!», dann kommen wir dem Kind oft entgegen und es entkommt der Aufgabe. Die Kinder nutzen das auch schnell aus, und so entkommen sie Aufgaben, die ihnen nicht besonders Spass machen. Hier müssen wir als Eltern überlegen, was uns wichtig ist. Was wollen wir unseren Kindern vermitteln? Wichtig ist, dass das Kind weiss, dass es ein Teil der Familie ist und es seinen Teil beiträgt. Es ist nicht nur Gast und alle anderen kümmern sich darum, dass es dem Kind gut geht. Wir wollen Kinder, die Verantwortung übernehmen können und fähig sind, auch Verantwortung für andere zu übernehmen. Wir sind es den Kindern schuldig, sie an Arbeiten heranzuführen, die sie ein Stück weit freiwillig und gerne machen, weil sie ein Teil der Familie sind und es zu einer Selbstverständlichkeit wird, dass jeder seinen Beitrag leistet. Es darf nicht demütigend sein. Wenn etwas «oberschludrig» gemacht wird, dann ist es meistens so, weil es eben gemacht werden muss, und nicht, weil es das Kind machen will, weil es sich als Teil des Ganzen sieht. Es geht dann einfach um Gehorsam. Wir sollen den Kindern zeigen, dass es schön ist, etwas miteinander zu machen. Es ist keine Strafe, sondern es ist schön, etwas zusammen zu erledigen und es gerne zu machen. Es wäre eine Illusion, dass es immer harmonisch und schön ist, aber das Ziel sollte sein, als Familie eine gute Zeit zu haben - auch bei Arbeiten, die weniger toll sind.
- Macht es Sinn, einem Vierjährigen ein Ämtli zu übergeben? Oder ist das zu früh?
Für ein vierjähriges Kind ist es noch schwierig, ein selbständiges Ämtli auszuführen. Es kann die Verantwortung dafür noch nicht tragen. Aber das Kind kann gut mit den Eltern zusammen Aufgaben erledigen. Dann kann man dem Kind punktuell Aufgaben geben.
- Als Eltern sind wir ein grosses Vorbild, wie wir mit Aufgaben umgehen. Wie gehe ich mit meinen Aufgaben um? Was gebe ich meinen Kindern weiter? Wie sinnvoll sehen wir unsere Aufgaben? Jesus hat all seine Aufgaben aus Überzeugung gemacht. Was macht wirklich Sinn? In welchen Aufgaben können wir auch aufgehen? Welche Aufgaben machen wir aus Überzeugung?
«Mama, wo sind meine Turnschuhe?», ruft Pascal (9). Die Mutter macht sich sofort auf die Suche und findet schliesslich nicht die Turnschuhe, sondern ihren Pascal, der auf dem Bänklein im Gang sitzt, vertieft in ein Comicheft. Die Mutter wird ihn jetzt bestimmt auffordern, ihr zu helfen und nicht einfach zu warten.
Interessant ist hier die Frage: Muss man das einem Kind wirklich beibringen? Ich bin überzeugt, dass Kinder sich spontan schuldig fühlen, wenn etwas nicht läuft, wie es sollte - solange sie sich für die Sache verantwortlich fühlen. Kinder zeigen es an, wenn sie für einen Bereich Verantwortung übernehmen wollen. Lassen wir es zu? «Selber!» heisst das Zauberwort. Wenn ein Kind ein Glas in die Hand nimmt, dann übernimmt es damit auch die Verantwortung dafür, was mit dem Inhalt geschieht. Was aber tun wir, wenn es den Sirup verschüttet? Nehmen wir an, das dreijährige Kind sei eben dabei, mit der Serviette und den blossen Händen den Sirup auf dem Tisch zu verteilen. Dabei kommen auch andere Gläser in Gefahr.
Vergleiche die folgenden Szenarien:
«Lass das, du machst es ja nur noch schlimmer!», sagt die Mutter, holt den Lappen und putzt den Tisch.
«Pass doch auf, schau mal, was du angerichtet hast. Hol sofort den Lappen!»
«Moment, komm, wir helfen dir beim Aufwischen!» Alle heben ihre Sachen hoch, der Kleine holt den Lappen und beginnt schon mal. Bei heiklen Stellen wird der Lappen gleich von zwei Händen geführt, von einer kleinen unten und einer grossen darüber. Und das Kind wird spüren: «Wenn mir etwas passiert, dann trage ich die Folgen, aber meine Familie hilft mir und lässt mich nicht im Stich.»
Zurück zu den Turnschuhen. Quizfrage: Welche Szene stammt wohl am ehesten aus Pascals Kindheit?
Eine scheinbar ganz normale Aussage, und sie könnte so weitergehen: «Darf ich mir ein Glas Sirup machen?» oder auch «Darf ich mir im Keller eine Cola holen?»
Manchmal ist es anders, und die nächste Person, die sich bewegt, ist nicht der Neunjährige, der Durst hat, sondern die Mutter. Sie fühlt sich augenblicklich unwohl, nachdem ihr Kind Durst hat. Sie fühlt sich verpflichtet, diesen Übelstand sofort zu beheben. Vielleicht schlägt sie dem Kind ein paar Getränke vor, die das Kind unwillig ablehnt. «Lieber eine Cola!»
Zugegeben, das mag in dieser Ausprägung selten sein, aber die Gefahr, dass Eltern die Probleme ihrer Kinder zu ihren eigenen machen, ist gross und relativ weit verbreitet. So müssen Kinder gar nicht mehr fragen: «Mama, fährst du mich zur Schule? Ich habe den Bus verpasst.» Sie wissen es: Wenn sie sagen: «Der Scheissbus ist mir vor der Nase davongefahren», kommt ihr Problem und ihr Druck ohne ihr Zutun bei Mama an, und sie wird sich fühlen, als ob sie selber den Bus verpasst hätte. So fällt es ihr auch nicht auf, wenn das Kind die Hilfe für selbstverständlich nimmt und sich auch nicht veranlasst sieht, dankbar zu sein.
Es ist noch nicht so lange her, da sagten Eltern in dieser Situation: «Geschieht dir recht! Wieso trödelst du so lange? Mach, dass du auf dein Fahrrad kommst!»
Gäbe es da etwas Hilfreiches dazwischen? Ich denke schon. Zum Beispiel so: «Oh, das tut mir leid. Das kann es geben.» Punkt. Das Kind übernimmt für sich die Verantwortung und löst das Problem. Wenn das ganz klar ist, dann sind Mamas frei zu sagen: «Komm, Jonas, ich bringe dich zur Schule. Ich gehe dann gleich noch zu...»
Kinder, die sich gewohnt sind, dass die Erwachsenen ihre Probleme lösen, sind in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Noch schlimmer: Nicht wenige Kinder lasten ihre Probleme den Eltern an, fordern deren Hilfe ein und verpassen deshalb jene schönen Momente, wo Eltern ein Auge zudrücken. Wie sollen sie, wenn sowieso schon beide zu sind?