VP als Schuldzuweisung an Eltern?

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4 Jahre 4 Monate her #6621 von godlovedchild
Frage
Hallo.

Ich hatte mich kürzlich mit jemandem, der sich gerade etwas in die VP eingelesen hat, über die VP unterhalten und bekam als Reaktion :

" Letztendlich kann man bei der VP ja sagen: wenn das Kind rebellisch und ungezogen ist, Grenzen nicht einhält ... dann liegt die Schuld ja immer bei den Eltern, die es nicht geschafft haben in ein rechtes Join-up mit ihrem Kind zu kommen. Schuld ist dann immer die fehlende/ ungeeignete Beziehung zum Kind. Die Schuld dürfen die Eltern dann immer bei sich suchen. "

Könntet ihr mir dazu als Erfahrene Rückmeldung geben? Ist das so? Wenn nein, warum nicht und wie ist die VP dann zu sehen?

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4 Jahre 4 Monate her #6622 von tiqva
Antwort
Liebe Godlovedchild,

Den Begriff "Schuld" empfinde ich als wenig "zielführend", wie man so schön sagt. Ich würde eher von Verantwortung sprechen. Und es ist schon klar: Erwachsene haben in der Beziehung zu ihrem Kind klar die Verantwortung. Sie sind diejenigen, die die Beziehung prägen, von Anfang an. Ein Neugeborenes und ein Kleinkind können das schlichtweg nicht. Die Eltern bestimmen die Art der Beziehung, die sie mit ihren Kindern leben.

Ich bin an dieser Frage auch schon verzweifelt, weil ich finde, der Anspruch an uns Eltern ist sehr gross. Wir müssen einerseits mit uns selber klarkommen, einen guten Umgang mit Ärger finden, unsere Grenzen kennen und einhalten und so weiter, andererseits die Beziehung zu unseren Kindern gestalten. Das Problem ist: Wir kriegen das nicht perfekt auf die Reihe. Nicht alles und schon gar nicht immer.

Für mich ist VP eine Leitlinie, der ich mich "entlanghangle". Wo ich auch kein grosses Büro aufmachen muss, wenn ich mich falsch oder ungeschickt verhalten habe. Wir dürfen auch in der Beziehung mit uns selber gnädig sein und "mit uns selber" einen Weg gehen, genau wie mit unseren Kindern. Wir leben aus Gnade!

In unserer Familie gibt es Hochsensibilität und Hochbegabung. Es gibt Kinder, die besondere Herausforderungen mit sich bringen, was uns Eltern mehr herausfordern kann als Kinder, die "einfach laufen" (die gibt es auch). In unserer Familie haben wir von allem etwas... Für mich als Mutter ist es sehr wichtig, dass ich mir sagen darf: Ja, diese Situation ist schwierig (nicht das Kind!). Und ja, ich brauche Unterstützung und hole sie mir. Ich glaube auch, dass wir Eltern einfach mal "anstehen" dürfen, wir müssen und können nicht jedes Problem perfekt lösen. Trotzdem haben wir die Grund-Verantwortung für die Gestaltung der Beziehung mit unseren Kindern. Heinz sagte einmal, es gäbe keine "Erziehungsprobleme", sondern nur "Beziehungsprobleme". Das sehe ich inzwischen genau so, auch wenn es mich immer wieder sehr herausfordert. Das Schöne aber ist, dass wir an Herausforderungen wachsen können.

Herzliche Grüsse
Tiqva

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4 Jahre 4 Monate her #6623 von Bäretatze
Antwort
Danke Tiqva für deine Erklärungen, ich sehe das genau so! Ein paar Ergänzungen aus meiner Sicht:
In der Vertrauenspädagogik geht es ja gerade darum, dass wir eben im Zeitalter der Gnade leben (neues Testament). Deshalb dürfen wir auch ganz getrost von dieser "Schuldfrage" weg kommen.
Manchmal macht es natürlich Sinn, nach dem Grund zu suchen. Warum läuft etwas nicht rund, warum verhält sich ein Kind so und nicht anders? Das ist aber immer noch etwas anderes, als zu fragen, wer der Schuldige ist. Und hier dürfen wir eines nicht vergessen: Der Grund für, aus unserer Sicht, schwieriges Verhalten liegt ganz ganz oft schlicht und einfach in der Unreife. Daraus resultiert eine weitere Aufgabe für uns Eltern: Bedingungen und Beziehungen schaffen, die Reifung begünstigen. Denn Reifung ist für ganz viele Probleme und für ganz viel "Problemverhalten" die Lösung. Klar, eine schnelle Lösung ist das nicht. Für schnelle Lösungen ist dann manchmal unsere Kreativität gefragt. Aber ich erlebe es so, dass wenn ich an eine Situation herangehe, mit dem Gedanken "mein Kind schafft es gerade nicht, sich angepasst zu verhalten, weil es eben noch nicht die Reife dazu hat" ich ganz anders reagieren kann, als wenn ich davon ausgehe, dass das Kind Grenzen austesten will, mich auf die Probe stellen will oder was auch immer. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es geht hier nicht darum, dass man einfach alles Fehlverhalten toleriert und sagt, "es ist halt noch unreif". Vielmehr soll diese Sicht mein Handeln bestimmen. Ich führe dann zum Beispiel die Kinder mit klaren aber freundlichen Worten aus der Situation heraus, weil ich sehe, dass sie es alleine noch nicht können. Oder ich nehme ein "schwieriges" Kind in meine Nähe, weil ich merke, dass es jetzt gerade meine nahe Führung braucht. Was auch immer...
Ja und manchmal komme ich auch zum Schluss, dass es im Moment wirklich an der Beziehung liegt. Gerade bei Teenagern merkt man sehr schnell, wenn das "Beziehungsseil" gerade nicht sehr dick gestrickt ist. Aber auch da geht es nicht um Schuld. Vielmehr ist das eine Feststellung, die mir zeigt, es ist dran, wieder etwas mehr in die Beziehung zu investieren. Oder manchmal auch einfach, die Beziehung aufzuwärmen, bevor ich etwas verlange. Bindung vor Weisung heisst es ja so schön.

Liebe Grüsse
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4 Jahre 4 Monate her #6625 von tiqva
Antwort
Danke für diese hilfreiche Ergänzung, liebe Bäretatze!

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