Enttäuschung - ein Druckmittel?

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9 Jahre 11 Monate her #4294 von Landi
Frage
Hallo zusammen!

Ich würde hier gerne mal dieses Thema diskutieren. Ich habe gerade länger mit meinem Mann über die Auswirkungen von Enttäuschung gesprochen. Und irgendwie haben wir den Eindruck, dass es sehr schwierig ist, Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen, ohne Druck auszuüben. Wann immer ich als Elternteil enttäuscht bin über das Verhalten meines Kindes, kommt dieses doch in einen Zwiespalt. Oder erlebt ihr das anders?
Wir haben uns dann gefragt, ob Jesus auch enttäuscht war/Enttäuschung zeigte. Da kam uns die Geschichte auf Getsemane in den Sinn, wo Jesus seine Jünger gebeten hat zu wachen und beten, während Er selber zum Beten ein Stück weiter ging. Als Er zurück kam und die Jünger schliefen, war er doch auch enttäuscht. Im Lukas-Evangelium wirkt es sogar, als würde Er sie deswegen anklagen. Wie seht ihr das?
Ein anderer Gedanke, den wir hatten, war, dass Enttäuschung viel mit Erwartungen zu tun hat. Also, je weniger ich erwarte, desto weniger bin ich enttäuscht. Aber Erwartung wie auch Enttäuschung können wir niemals komplett aus unserem Leben verbannen, beide sind da, gehören dazu. Die Frage ist, wie wir VPmässig Enttäuschung ausdrücken, ohne dass unsere Kinder angeklagt werden oder unter Druck kommen.

Vielleicht hat hier jemand ein paar Gedanken dazu.

Lg, Landi.

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9 Jahre 10 Monate her #4295 von Kiki
Antwort
Liebe Landi,

die gleichen Gedanken habe ich mir vor einiger Zeit gemacht, als jemand, den ich sehr gerne habe, meinen Geburtstag vergessen hat. Ich war damals sehr enttäuscht, verletzt und fühlte mich auch abgelehnt. Gleichzeitig schämte ich mich für meine Enttäuschung, weil ich in meinem Kopf wusste, dass meine Erwartungen sehr selbstbezogen waren. Ich spürte, dass ich mein Gegenüber unter Druck setze, und trotzdem musste ich meine "verletzte Seele" jemandem zeigen. Damals bin ich etwa zu den gleichen Schlüssen gekommen wie du.

Einmal mehr beginnt es in meinem Herzen.

Ich kann mich selbst, meine Wünsche und Erwartungen ins Zentrum stellen. Dann werde ich enttäuscht und mein Gegenüber hat es viel schwerer, zweite Meilen mit mir zu gehen. Unterstelle ich sogar böse Absichten (Mein Kind ist nur zu faul, gibt sich keine Mühe...), schadet es unter Umständen sogar unserer Beziehung (Würde mein Mann mich lieben, hätte er...).

Habe ich aber mein Gegenüber (oder noch besser: Jesus) im Zentrum, habe ich für mein Kind gute Wünsche und Ziele im Herzen, dann werde ich eher traurig, wenn es etwas nicht begreift oder es einfach nicht schafft, sein Verhalten zu ändern. So können wir gemeinsam trauern.

Soweit meine persönliche Theorie ;) . Nun zur Praxis: Ich kann Erwartungen und Enttäuschungen nicht ganz vermeiden, und ich denke, es gehört einfach auch dazu, dass wir und unsere Kinder lernen, damit umzugehen und schliesslich zur Trauer zu finden. Ich versuche aber trotzdem, solche Situationen zu reduzieren, indem ich mit meiner Familie vorbeugend über meine Erwartungen spreche und indem wir gemeinsame Ziele formulieren.

Lukas 22,46 empfinde ich eher als einen Akt der Fürsorge. Jesus sorgt sich um seine Jünger; er weiss um die physische und geistliche Gefahr im Garten Gethsemane.

In einem Buch, das ich eben lese, wird Mary Haskell so zitiert:
"Nichts, was aus dir wird, kann mich enttäuschen; ich habe keine vorgefasste Meinung, was du sein oder tun sollst. Ich habe keinerlei Wunsch, dich vorherzusehen, nur den, dich zu entdecken. Du kannst mich nicht enttäuschen."

Was denkst du über dieses Zitat? Damit schliesse ich mich deiner Frage an, Landi: Wie geht ihr mit Erwartungen und Enttäuschungen um? Ich bin gespannt... ;)

Liebs Grüessli
Kiki

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9 Jahre 10 Monate her #4301 von Landi
Antwort
Danke, Kiki, für deine Gedanken!

Würdest du denn sagen, dass Jesus nie enttäuscht war? Sollten wir um jeden Preis versuchen Enttäuschung zu vermeiden? Ist Enttäuschung immer ein Zeichen unserer Selbstbezogenheit?

Das Zitat von Mary Haskell widerspiegelt für mich eine perfekte Beziehung. Ich frage mich nur, ob dies realistisch ist - eine Beziehung ohne jegliche Erwartungen. Denkt ihr, da sollten wir hinkommen? Nichts zu erwarten von unserem Gegenüber? Erwartet denn Gott auch nichts von uns?

Oder kann man sagen, Gott erwartet nicht, aber freut sich über unseren Gehorsam, und er ist nicht enttäuscht, wenn wir ihm nicht folgen, sondern traurig? Ist denn traurig werden über ein bestimmtes Verhalten weniger mit Druck verbunden als enttäuscht weden?
Was ist der Unterschied zwischen: Ich bin traurig über den Ungehorsam meines Kindes und ich bin enttäuscht über sein Verhalten? Ist nicht beides mit Druck verbunden?

Sorry, die vielen Fragen, aber ich bin grad dran, mir das irgendwie im Kopf zurecht zu legen und für mich einen Weg zu finden. Danke für eure Gedanken dazu!

Lg, Landi.

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9 Jahre 10 Monate her - 9 Jahre 10 Monate her #4302 von Kiki
Antwort
Liebe Landi,

die Grenzen zwischen Trauer und Enttäuschung empfinde ich als sehr fliessend. Ich habe eigentlich keine Antworten auf deine Fragen, sondern versuche einfach mal, den Faden etwas weiter zu spinnen...

Ent-Täuschung bedeutet ja, dass ich mich zuerst habe täuschen lassen und jetzt eines Besseren belehrt werde bzw. dass ich aus meiner Selbsttäuschung herausgerissen werde. Da Gott allwissend ist (Psalm 139), kann ich ihn in diesem Sinne weder täuschen noch enttäuschen.

Gleichzeitig mutet Gott mir nichts zu, was über meine Kraft geht (1. Kor. 10,12). Also kann seine Erwartung an mich auch nie zu hoch oder zu tief sein.

Bei uns Eltern sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Ich täusche mich in mir selbst, in meinen Kindern, in den Umständen... Vielleicht hat Jesus uns deshalb geboten, nicht zu richten. Auch meine Erwartungen könnnen zu hoch, aber auch zu tief sein.

Sinnvolle und klare Erwartungen, die nicht anklagend oder feindlich daherkommen, finde ich nicht schlecht. Ich erwarte, dass meine Kinder gehorchen, ihre Kleider versorgen... Sie spüren das und handeln danach. Ich finde es sogar hilfreich, weil sie eine gewisse "Struktur" geben.

Deine Frage nach Trauer oder Enttäuschung:

"Ich bin traurig über den Ungehorsam meines Kindes und ich bin enttäuscht über sein Verhalten?"

könnte man auch nach dem Grund der Trauer stellen: Bin ich traurig über den Ungehorsam meines Kindes, weil es meine Führung nicht akzeptiert (also meinetwegen), oder bin ich traurig für mein Kind, weil es nicht geschafft hat, sich unterzuordnen (seinetwegen). Die Trauer, die das Wohl des Gegenübers sucht, empfinde ich als beziehungsstärkend, verbindend und nicht anklagend. Die Trauer, die aus meiner eigenen Verletzung kommt, legt dem anderen ein schlechtes Gewissen auf und drängt ihn, verhaltens- statt beziehungsorientiert zu handeln (wie im aktuellen Infobrief beschrieben).

...und wenn wir zwei uns noch lange so schwierige Fragen stellen und uns bis in den innersten Winkel unseres Herzens prüfen, werden wir bestimmt auch noch verhaltens- statt beziehungsorientiert ;) .

Spass beiseite: Könnte es auch sein, dass unsere Reaktion von der vermeintlichen Motivation unseres Mitmenschen abhängt? Fehlte es am guten Willen (was wir ja nie wissen, sondern immer nur unterstellen können), sind wir enttäuscht. Fehlte es am Können, sind wir traurig...?!

Was denkt ihr darüber?

Liebs Grüessli
Kiki
Last edit: 9 Jahre 10 Monate her by Kiki.

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9 Jahre 10 Monate her #4303 von Heinz Etter
Antwort
Beides kann uns unter Druck setzen. Beides kann in mir die Sorge auslösen, ja niemanden zu enttäuschen oder traurig zu machen. Viele Eltern laden ihren Kindern eine enorme Last auf, wenn sie ihnen sagen, wie traurig sie sind über deren Verhalten.
Ich denke, Barmherzigkeit ist etwas anderes. Sie geht vom guten Willen des Gegenübers aus (berechtigt oder unberechtigt ist von geringer Bedeutung). Die Enttäuschung über das Geschehene hat dann eine andere Farbe und darf dann in allen Trauer auslösen und ganz schnell auch das gute Gefühl, dass auch Enttäuschungen die Einheit nicht zerbrochen haben. All das unter Wahrung der Authentizität zu leben ist wohl ohne die Führung des Heiligen Geistes ziemlich aufwändig.....
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9 Jahre 10 Monate her #4305 von Landi
Antwort
Vielen Dank euch beiden, das war interessant!

Ja, es kommt wieder einmal auf meine innere Haltung drauf an, ob ich mein Gegenüber sehe oder mich selber. Der Begriff Barmherzigkeit hat mir den Knopf gelöst, danke Heinz. Ein weites Herz haben für mein Gegenüber und immer vom guten Willen ausgehen. Und dann auch barmherzig sein mit mir selber, denn auch wenn ich auf all meine Fragen Antworten erhalten würde, könnte ich dennoch nicht alle Fehler vermeiden ;).
Und was du, Kiki geschrieben hast, dass wir Gott gar nicht enttäuschen können und Er auch nicht zu viel oder zu wenig von uns erwartet, habe ich sehr hilfreich gefunden. Soweit schaffen wir Eltern es dann doch nicht, und gerade auch deshalb brauchen wir Gnade - und Seinen Heiligen Geist, der uns führt.

Danke!
Lg, Landi.

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