Fusion

Liebe alle,

vielleicht habt ihr euch den Vortrag "Abenteuer Adoleszenz" angehört.

An gewissen Stellen stehe ich etwas auf der Leitung: Wo liegt der Unterschied zwischen der Bindung über die Gleichheit und der Fusion? Nicht wahr, wenn Jugendliche sich selbst verlieren, ist das Fusion. Aber wie sieht das praktisch bei der Bindung über die Gleichheit aus? Verliert man sich dabei nicht auch?

In der Ehe verstehe ich es eher: Dort bin ich eigenständig, verzichte aber bewusst auf eine Abgrenzung, um Einheit zu erreichen. Wie seht ihr das?

Liebe Grüsse
Doro

Liebe Doro,

Wie du richtig schreibst ist die Folge von Fusion das Verschmelzen zweier Persönlichkeiten. Das heisst die einzelnen Persönlichkeiten verlieren sich im Ganzen, und können ensprechend nicht weiter ausreifen.
Bindung über Gleichheit ist die 2. Bindungsstufe. In der Regel tritt diese ab dem 2. Lebensjahr auf, und bleibt uns ein Leben lang erhalten. Kinder, Teens und auch wir Erwachsenen binden uns über die Gleichheit. Das ist ok und gut so, wichtig ist, dass später noch weitere Bindungsstufen hinzukommen. Dann nämlich werden immer tiefere Bindungen möglich. Gleichheit ist eine sehr oberflächliche Art der Bindung, die nicht viel Freiheit und schon gar keinen Raum zur Individualisierung bietet. Infolgedessen ist es aber auch keine sehr verletzliche Art sich zu binden und genau deshalb binden sich unreife Jugendliche gerne so.
Zum Verständnis ein Beispiel: Wenn wir jemand neues kennenlernen finden wir oft heraus, was wir gemeinsam haben, ob wir jemand gemeinsamen Bekannten haben, usw. Wenn wir im Ausland sind, freuen wir uns über das Autokennzeichen "CH" und fühlen uns gleich verbunden. Das ist gut und schön so. Geht die Beziehung weiter, vertieft sie sich, es kommen weitere Bindungsstufen hinzu. Wenn nicht, ists auch ok, es verläuft sich wieder.

Wenn nun unreife Jugendliche sich intensiv und ausschliesslich über die Gleichheit binden, kann es eben passieren, dass ich "fusionieren", weil in diesen Bindungen kein Raum ist für Individualität.

Fusion kann also eine Folge intensiver Bindung über Gleichheit sein, muss aber nicht.

Ich hoffe, das ist einigermassen verständlich erklärt...

Lg Bäretatze

Liebe Bäretatze

Vielen Dank für deine ausführlichen Erklärungen! Das erweitert mein Bild von der Fusion, aber ehrlich gesagt stehe ich immer noch ein bisschen auf der Leitung.

Gerne möchte ich auf meine Ausgangsfrage zurückkommen. Wenn ich dich richtig verstehe, können Gleichaltrige fusionieren. Ist es denn so, dass es eher zur Fusion kommt, wenn zwei Unreife sich über Gleichheit binden? So wie beim Marmorkuchen? Solange der Teig noch flüssig ist, kann ich die beiden Teile mischen, wenn der Kuchen gebacken ist, nicht mehr.

Oder hängt es mit der gleichen hierarchischen Stufe zusammen?

Wenn Kleinkinder sich über die Gleichheit an ihre Eltern binden, kommt es dann auch zu einer Fusion - einfach einseitig vonseiten des Kindes? Und löst sich das mit zunehmender Emergenz wieder auf?

Nicht wahr, im Alltag spielt diese Frage ja keine grosse Rolle, ich möchte es nur so gerne verstehen. Wenn du magst, schreib mir doch noch mal zurück...

Liebe Grüsse
Doro

Liebe Doro,

Ist es denn so, dass es eher zur Fusion kommt, wenn zwei Unreife sich über Gleichheit binden?
Ja absolut, Fusion ist geht immer mit Unreife einher.

Oder hängt es mit der gleichen hierarchischen Stufe zusammen?
Was meinst du damit genau? Ich verstehe die Frage nicht ganz.
Bindung ist ja immer hierarchisch, eine Person ist im Alpha die andere schliesst sich an.


Wenn Kleinkinder sich über die Gleichheit an ihre Eltern binden, kommt es dann auch zu einer Fusion - einfach einseitig vonseiten des Kindes? Und löst sich das mit zunehmender Emergenz wieder auf?
Ein Baby erlebt sich ja noch gar nicht als eigenständiges Wesen. Von dem her würde ich das nicht so ausdrücken, dass es zur Fusion kommt. Eher, dass das Kind mit zunehmender Reife, bzw. mit jeder Bindungsstufe die dazu kommt, mehr Raum zur Individualität bekommt. Und genau dies fehlt eben in einer intensiven Bindung an Gleichaltrige, dieser Raum zur Individualität.
Emergenz ist hier der falsche Ausduck, hier geht es um Reifung.

Zu erwähnen gilt noch, dass unsere Kinder in der Regel vor solch intensiven Bindungen an Gleichaltrige geschützt sind: nämlich durch eine tiefe und nährende Bindung an die Eltern, oder an sonstige Erwachsene Bezugspersonen. Dies ist der wichtigste und beste Schutz.

Danke, liebe Bäretatze, für die schnelle Antwort und das "Licht in mein Dunkel" .

Genau das, was du schreibst, ist, was ich mit "hierarchisch" meinte:

Auf gleicher Ebene - unter Gleichaltrigen - kommt es zur Fusion. Auf unterschiedlicher Ebene - zwischen Eltern und Kleinkind - kommt es nicht zur Fusion.

Reife Erwachsene werden ihren Kindern diesen Raum zur Individualität geben, Gleichaltrige dulden es nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Andersartigkeit unter Kindern die Rolle des Alphakindes gefährdet. Ein Kind, das nicht gleich ist, hätte quasi das Potenzial zum neuen Anführer. Eltern werden von der Individualität ihres Kindes nicht in ihrer Alpharolle bedroht.