"Ohren zu", wenn das Kind grad nix hören will

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8 Jahre 3 Monate her #5470 von Pixxel
Frage
Hallo zusammen!
Unsere Zweitklässlerin, Erstgeborene, ist ein eigentlich sehr umgängliches, zufriedenes und schulisch unproblematisches Mädel. Nun hat sie aber sehr zickige Verhaltensweisen entwickelt, z.B. wenn sie in einem Spiel nicht grad gewinnt, ihr kein Kleidungsstück im Schrank passt, sie beim Huusis machen x-mal gümmele muss oder wir sie dazu anhalten, vorwärts zu machen (sie ist, schon immer, bei allem sehr gemütlich unterwegs...). Wenn da ein falsches Wort von uns Eltern kommt, dann hält sie die Ohren zu und schreit herum und ist grad nicht mehr zugänglich. Bin ich grad gut drauf und nervlich belastbar, gelingts mir, da einigermassen ruhig zu reagieren. Je längers je mehr aber nervt mich dieses Verhalten wegen (für mich!) Kleinigkeiten und ich reagiere genervt zurück. Finde das sehr unanständig. Natürlich giess ich damit Oel ins Feuer... :( Sie verzieht sich dann in eine Ecke oder ins Zimmer und grummelt vor sich hin, ich komm dann nicht mehr an sie ran und lass sie in Ruhe. Nach vielleicht 10 Minuten kommt sie wieder in meine Nähe und ich kann sie dann in die Arme nehmen und kurz mit ihr darüber sprechen. Soweit so gut, es gibt immer ein Happyend, aber ich möchte irgendwie dem Ganzen schon vorgreifen können, dass ich mich gar nicht mehr so provozieren lassen muss von diesem ablehnenden Ohren-zu-ich-will-dich-nicht-hören 8) Was da abgeht in mir ist eines, dessen bin ich mir bewusst, ich versuche da, das nicht persönlich zu nehmen. Aber eben, je nach Tagesstimmung gelingts mal besser, mal schlechter.... Und natürlich ists auch eine Verhaltensweise, die sich gehäuft bei Müdigkeit abends oder nach der Schule zeigt und selten beim topfitten, ausgeschlafen Kind.
Grundsätzlich aber brauche ich da dringend eine Neuorientierung und neue Ansätze im Umgang mit ihr in solchen "Ohren-zu"-Situationen, die mittlerweile doch etwa zweimal wöchentlich auftreten :( :( .
Kennt das wer und hat mir da jemand neue Inputs?
Vielen Dank und liebe Grüsse
Pixxel

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8 Jahre 3 Monate her #5471 von Bäretatze
Antwort
Liebe Pixxel,

Deine Tochter erlebt in diesen Situation Frust. Etwas funktioniert nicht für sie, sie ist frustriert. Das ist etwas ganz normales, gehört zum Leben von uns allen dazu. Kennst du den Neufeldschen Frustrationskreisel?
Falls nicht: Stell dir einen Verkehrskreisel mit 4 Ausfahrten vor. Bei der Ausfahrt bzw. eben Einfahrt kommt die Frustration rein. Nun wäre die erste Ausfahrt, dass das Kind die Situation ändern kann. Manchmal klappt das und die Situation ist gerettet. Oft aber eben auch nicht, und das ist auch ganz gut so. Die 2. Ausfahrt wäre die der "Adaption", das heisst, das Kind kann sich mit der Situation abfinden und Trauer darüber empfinden, manchmal sogar weinen. Das wäre der Idealfall, denn so lernen Kinder, dass sie Dinge, die sich nicht ändern lassen auch einfach überleben können ;) sie können nach den Tränen wieder neuen Mut fassen und weitergehen.
Oft gelingt aber auch dies nicht, und dann wird die Frustration faulig und schlägt in der 3. Ausfahrt in Aggression um. Reife Menschen haben gemischte Gefühle, d.h. sie spüren in diesem Moment zwar die Aggression, zb. die Lust jemanden zu schlagen, fühlen aber auch gleichzeitig, dass sie diese Person ja lieben. Deshalb schlagen sie dann eben nicht. Je müder oder hungriger, und je grösser die Frustration, desto weniger Zugang zu diesen gemischten Gefühlen haben wir. Und desto eher bekommen wir es mit der reinen Aggression zu tun. (oder eben, je unreifer, bzw. jünger ein Kind ist)
Nun geht es nicht sosehr um die Aggression, sondern der Grund für jede Aggression ist Frustration. Schau, was deine Tochter so frustriert. Versuche, in einem ruhigen Moment (wenn weit und breit kein Frust da ist) mit ihr über Frustration zu sprechen. Es ist dabei auch wichtig, dass du selber ein JA findest zum Frust, dass du auf der Seite des frustrierten Kindes bleiben kannst. Es ist völlig normal frustiert zu sein, und manchmal muss man diesen Frust auch einfach rauslassen. Es gilt dann, mit dem Kind zusammen nach Lösungen zu suchen, wie man Frust rauslassen kann, ohne dabei jemanden zu verletzen. Es gibt Kinder denen hilft es, in einem Zimmer laut zu schreien, andere schmeissen Kissen aufs Bett, oder schlagen auf Kissen und Stofftiere ein. Was auch immer, sucht zusammen Wege, die ihr helfen ihren Frust loszuwerden.

Das war jetzt grad etwas viel Theorie gell! Wenn du Fragen hast, melde dich einfach wieder!
LG Bäretatze
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8 Jahre 3 Monate her #5472 von Pixxel
Antwort
Liebe Bäretatze
Was für ein spannender Beitrag! Obwohl ich mich sehr mit der Materie der Seelsorge und der Individualpsychologie auseinandersetze, habe ich vom Frustrationskreisel noch nie gehört - wobei das vielleicht auch nicht unbedingt dort reingehört :lol: . Auch beim Googeln B) bin ich nicht sehr fündig geworden, nur dass dieser Begriff wohl von einem Gordon Neufeld geprägt worden ist, einem kanadischen Bindungsforscher. Dem muss ich mal noch nachgehen und seine Theorien genauer studieren, das ist ein sehr interessantes Modell mit diesen verschiedenen "Ausfahrten", sprich Optionen, die das Kind oder eigentlich grundsätzlich jeder "gesunde" Mensch in Frustsituationen hat. Also ein grosses Dankeschön, du hast mich damit genau da abgeholt, wo mir so Themen eigentlich am zugänglichsten sind, nämlich bei einem entsprechend logischen und nachvollziehbaren Grundmechanismus. Also wenn du da noch mehr Infos dazu hast, wär das oberprima!!! :)

Ja, dem Grund des Frustes auf die Spur kommen! Der ist manchmal zwar einfach erkennbar, aber umso schwieriger nachzuvollziehen für mich als Erwachsene. Und wenns eilt fehlt mir dann auch völlig die Ruhe, das Ganze verstehen zu wollen :blush: Ja, die Idee, grundsätzlich mal zusammenzusitzen und über den Umgang mit Frust an sich zu sprechen, ist eine gute Idee, eben zu schauen, dass die Rösslein erst gar nicht losgaloppieren... Das werde ich ganz sicher angehen!!!

Was aber, wenn die Rössli aber schon losgestürmt sind, die erste und zweite Ausfahrt verpasst? Gibts da in diesem Kreiselmodell auch Lösungsansätze? Auch ich kenne gewisse Mechanismen, die in mir in bestimmten Situationen ablaufen, ganz gut - und schaffe es trotzdem nicht immer, rechtzeitig Gegensteuer zu leisten - wenn auch immer öfter ;) Dann ist so ein Notfallprogramm ganz gut zu zu haben.

Liebe Grüsse
Pixxel

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8 Jahre 3 Monate her #5473 von Bäretatze
Antwort
Liebe Pixxel,

Freut mich, dass mein Beitrag gut angekommen ist bei dir!
Ja Gordon Neufeld ist ein kanadischer Entwicklungspsychologe. Er führt das Neufeld-Institut, wo man Entwicklungs- und Bindungspsychologie studieren kann. Diese Ausbildung haben einige VP-ler gemacht, oder sind gerade dran. Ich selber bin im 2. Semester, und unser Thema die letzten Wochen war grad "Umgang mit Aggressionen" :)
Er hat auch ein super Buch geschrieben: "Unsere Kinder brauchen uns!" Erhältlich ist es bei VP im onlineshop. Das Buch ist seeeehr zu empfehlen, mir gingen dabei ganze Flutlichter auf.
Gordon Neufeld war schon zweimal in der Schweiz, und wird nächsten Oktober wieder 2 Tage in Zürich sein.
Du kannst auch mal die alten Infobriefe durchstöbern, Heinz hat da den Frustrationskreisel bestimmt auch schon beschrieben.

Im akuten Fall gilt es einfach, Mensch und Mobiliar zu schützen. Verzichte darauf, ein Kind das sich grad selbst nicht steuern kann, von aussen zu steuern. Am besten beschränkt man sich drauf, zu schauen, dass keinen Schaden entsteht. Wenn andere Leute drumherum sind, ist es manchmal gut, wenn man sagt "wir reden dann später noch da drüber" oder so. Damit die Leute nicht denken, man mache einfach "nichts". ;) Und das tun wir ja auch, nur eben in Ruhe und nicht im Sturm.

Übrigens, am meisten Frust entsteht durch Bindung. Wenn das Kind Trennung (nicht nur physische) erlebt, wenn es in der Beziehung zu den engen Bezugspersonen nicht funktioniert, das ist der grösste Auslöser für Frust!

Grüessli Bäretatze
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8 Jahre 3 Monate her #5474 von Pixxel
Antwort
Liebe Bäretatze
Da hast du mich grad sehr neugierig gemacht und ich habe die Seiten des Neufeld-Instituts und die angebotenen Kurse grad kurz studiert. Superspannend!!! :) Ging irgendwie total an mir vorbeit, aber die VP ist zeitweise auch wieder etwas aus meinem Fokus gerückt... Nun muss ich den Faden wieder aufnehmen :lol: Aber das ist jetzt total OT. Jedenfalls viel Freude am Studium! Und danke für den interessanten Buchtipp!

Zurück zum Thema:
Nein, eskalieren tuts zum Glück nie, jedenfalls bis jetzt nicht, darüber bin ich dankbar. Irgendwie kann die innere Aggression wohl bei ihr anders kanalisiert werden, der laute Wutanfall reicht wohl zum Deeskalieren für sie... Vielleicht steckt sie somit gleichwohl noch in der 2. Ausfahrt, wobei ich das mal noch etwas genauer studieren muss, wo sie dann jeweils grummelnd steckt. Gut möglich, dass sie aber im Moment die Beziehung zu einem Elternteil als "gestört" empfindet, schliesslich tun wir grad nicht das, was sie möchte... Ansonsten denke - oder hoffe - ich, dass unsere Beziehung in einer gesunden und sicheren Bindung zueinander fusst.
Nun eben ists sicher eine gute Gelegenheit, das ganze Beziehungsgefüge wieder etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und allfällige Fehlentwicklungen, die sich da langsam eingeschlichen haben, zu erkennen.

Liebe Grüsse
Pixxel

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8 Jahre 3 Monate her #5475 von Bäretatze
Antwort
Liebe Pixxel,

Ich hab grad gesehen, dass im VP-Shop noch nicht das neu überarbeitete Buch erhältlich ist. In diesem neuen Buch wurde ein Kapitel über die "die digitale Generation" zugefügt, welches ich sehr gut finde. Du kannst das Buch auch direkt beim Genius-Verlag bestellen:
www.genius-verlag.de/shop/index.php/prod...en_uns_neu_2015.html
Übrigens gibt es vom Neufeld-Anlass 2012, wo auch der Frustrations-Kreisel vorkam, Unterlagen welche per Mail verschickt werden können. Wenn du Interesse daran hast kannst du dich an die Forum-Administration wenden, sie wird es dir schicken!

Ich meinte nicht nur Eskalationen in Form von totalen Ausrastern. Sondern einfach die Momente, wo die Frustration rauskommt und das Kind grad nicht mehr zugänglich ist. Dies zeigt sich bei jedem Kind anders.

LG Bäretatze

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