Refresher
Soll man - oder soll man nicht - die Kinder dazu erziehen sich zu entschuldigen, wenn sie sich schuldig gemacht haben? Die Meinungen gehen weit auseinander.
Ich schlage folgenden Gedanken vor: Kinder sollten sich nur ent-schuld-igen, wenn sie sich schuldig fühlen. Wird ein Kind gezwungen sich zu entschuldigen, könnte es sein, dass es auf eine - je nachdem beabsichtigte - Demütigung hinausläuft. Ein Kind soll so lernen, was die Erwachsenen als schuldhaft empfinden. Aber wollen wir unsere Kinder wirklich dazu erziehen zu heucheln bzw. zu lügen, einfach um uns und andere zufriedenzustellen? Aus meiner Sicht wäre es weniger schädlich, eine Wiedergutmachung zu verordnen als eine Entschuldigung.
Ich glaube, dass der Schöpfer einen anderen Weg vorgesehen hat:
Bei reifen Kindern - im Idealfall ab etwa sieben Jahren - dürfen wir auf Empathie hoffen. Ein Kind kann seine eigene Sichtweise auftun und jene eines anderen einbeziehen, sich also in sein «Opfer» einfühlen, freilich erst, wenn die aggressiven Gefühle abgeklungen sind. Ein Schuldbewusstsein stellt sich je nachdem fast von alleine ein. Sonst können wir ein Kind, das uns vertraut, in diese Richtung führen. Aber es gilt, dieses Schuldbewusstsein zu fühlen, bevor man über die Bewältigung nachdenkt.
Bei kleineren Kindern gilt es, ihre fürsorglichen Gefühle zu wecken, eine Art Trauer über das, was seinem Opfer passiert ist. Kleinere Kinder empfinden das Sich-Entschuldigen dann zunächst als eine Art des Tröstens. Ebenso die Wiedergutmachung, beispielsweise durch eine Zeichnung oder durch das Überlassen eines Spielzeugs. Auf einer verbalen Entschuldigung zu beharren, halte ich für wenig hilfreich. Je kleiner Kinder sind, desto schneller verlieren sie ihre Verantwortung aus den Augen, wenn sie sich auf den Schmerz des anderen einlassen.
Wenn es dir geht wie mir, dann lässt dieser Text viele offene Fragen zurück. Einer wollen wir - wenn nichts dazwischen kommt - im nächsten Infobrief nachgehen, der Frage nämlich, wie sich das Gewissen eines Kindes formt.
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 30. Januar 2017
Diverse Themen
- Das erste Videoseminar stiess auf Begeisterung und wird allen empfohlen. Vor und während des Seminars schauen sich die Teilnehmer die Seminarvideos an. An drei Skype-Sitzungen werden die Erkenntnisse dann vertieft und in die Praxis übertragen. So werden die Vorteile von DVD-Seminar (Lernen zu Hause) und Live-Seminar (Austausch) vereint.
- Situation von Silvia: Sie und ihr Mann versuchten, mit ihren Kinder anhand des selbständigen Anziehens eine Join-up-Intervention durchzuführen. Bei der Neunjährigen funktioniert es super, beim Siebenjährigen ist es sehr schwierig. Ist der Jüngere zu jung für eine Join-up-Intervention? Ihr siebenjähriger Sohn könnte noch zu unreif sein. Die Ältere kann sich an Regeln halten, weil sie schon reifer ist. Sie versteht es schon besser. Als die neue Regeln vorgestellt wurden, fand es die Ältere toll, der Jüngere war nicht so begeistert, er wollte sich einfach weiterhin in der Nähe der Mutter anziehen. Vermutlich war es für ihn zu wenig einleuchtend, und dass er es auch will, ist für ihn nicht so relevant. Beim Join-up geht es in erster Linie um die Beziehung. Vermutlich kommt es ihm eher als Strafe vor, dass seine Eltern ihm nicht mehr beim Anziehen helfen wollen. Und Silvia sollte darauf achten, ob er wirklich schon genug reif ist dafür. Je grösser die Sache, desto schwieriger für ihn.
Tschuldigung
- Ein Kind tut etwas, was es nicht soll, und die Erwartung der Eltern ist, dass das Kind sich beim anderen entschuldigt. Das Kind macht das meistens sehr widerwillig. Wenn das Kind sich nicht schuldig fühlt und sich einfach entschuldigt, dann kommt die Entschuldigung auch nicht beim Gegenüber an.
- Meistens ist es für ein Kind nur eine Blossstellung, wenn es sich so entschuldigen muss. Löst etwas anderes aus, als wir wollen. Löst Schamgefühl (Peinlichkeit) aus und zeigt dem Kind nicht, dass es das andere Kind vielleicht verletzt hat.
- Dem Kind aufzeigen, was es mit dem anderen Kind gemacht hat, wie sich das andere Kind dabei fühlt - das können wir als Eltern machen.
- Wenn das Kind wirklich spürt, dass es einen Fehler gemacht hat, und es ihm leid tun, dann ist die Entschuldigung echt.
- Wenn ich vom Kind eine Entschuldigung einfordere (es beschäme), dann löse ich beim Kind zuerst eine Verteidigungsposition aus. Je mehr ein Kind unter Druck kommt, desto weniger wird es diese weichen Gefühle - Schuldbewusstsein, Empathie, Fürsorglichkeit - für sein Opfer empfinden.
- Darum ist es wichtig, dass wir nicht mit aggressiven Gefühlen auf ein Kind losgehen, sondern tendenziell mit Besorgnis. Keine Anklage oder Beschimpfung.
- Wie können wir Kinder dazu führen, die Verantwortung zu übernehmen? Nicht als Reaktion aus Angst vor einer Strafe, sondern weil sie Verantwortung spüren und diese Verantwortung nicht beschämend ist. Wichtig ist, dass das Kind spürt, dass Eltern von der Situation betroffen sind.
- Situation von Michal: Wie reagieren, wenn ein jüngeres Kind (hier 2 ½) etwas vom älteren Geschwister kaputt gemacht hat und dabei kein Schuldgefühl empfindet? Das Grössere nahm die Entschuldigung nicht an. Es ist wichtig, dass die Ältere ihrer Trauer Raum geben kann. Am besten weinen. Nicht einfach auf gestellte Forderungen eines wütenden Kindes eingehen, sondern es das Gefühl durchleben lassen. Der Jüngere sollte die Schwester zuerst in Ruhe lassen und die Eltern sollten mit ihm zu einem späteren Zeitpunkt die Situation noch einmal aufgreifen.
- Chatnachricht: “Was hält man von Bestrafung?”: Eine Strafe sollte immer mit dem Schuldbewusstsein des Kindes übereinstimmen. Wenn das nicht so ist, dann versteht es das Kind nicht. Heinz rät tendenziell davon ab. Situation lieber offen lassen. Eher von Wiedergutmachung sprechen.
- Situation von Corina: “Wie kommen wir zur Trauer?” Ihr vierjähriger Sohn reagiert auf Frustration mit Wut. Die Wut muss raus, und sie versucht ihm zu helfen die Wut abzubauen. Müsste einfach die Trauer raus? Kommt die später? Er ist noch zu klein, um seine Wut zu kontrollieren. Wenn er älter wird, könnte Corina mit ihm darüber sprechen und ihm erklären, dass er die Wut nicht einfach in der Öffentlichkeit ausleben kann und seine Mutter ehren sollte. Aber erst mit ihm reden, wenn sich die Situation beruhigt hat. Er kommt zur Trauer, wenn die Aggression ausgedrückt worden ist. Das braucht Zeit und unter Anklage findet er die Trauer nicht.
Teil 1
Teil 2
Hast du auch schon gestaunt darüber, dass Kinder Geschichten manchmal x-mal hören wollen? Ich glaube, dass Kinder es einfach geniessen, wenn in unserer flackernden, grellen und schwer zu durchschauenden Welt etwas vorhersehbar ist. Scheue dich deshalb nicht, die Weihnachtsgeschichte jedes Jahr zu erzählen. Erzähle sie so wie beim ersten Mal und du wirst staunen, wie alle davon berührt werden. Jedes Jahr dürfen wir neu mit Maria erschrecken über die Ankündigung. Und wie jedes Jahr dürfen wir mit den Hirten staunen darüber, dass es ausgerechnet sie waren, denen der Engel die Geburt Jesu ankündigte. An Weihnachten braucht es keine Abwechslung, auch nicht so sehr kreative neue Einfälle, sondern die schlichte Besinnung auf das immer gleiche Wunder, an das wir denken wollen - auch wenn wir wissen, dass das Datum so wenig damit zu tun hat wie der Tannenbaum.
Ich möchte uns deshalb ermutigen, dem Zeitgeist, der nach Abwechslung schreit, mutig die Stirn zu bieten und deinen Kindern eine immer wiederkehrende vorhersehbare Weihnachtstradition zuzumuten. Besinne dich auf deine eigenen Kindheitserfahrungen. Wie traurig wäre es, wenn man plötzlich neue Weihnachtsguetzli entwickeln würde. Ich bin überzeugt, es braucht weder neue Lieder noch ein anderes Menü als letztes Jahr.
In diesem Sinn wünsche ich dir und deinen Lieben ganz «gewöhnliche» Weihnachten.
Talk über das Monatsthema
«Wer zuerst im Badezimmer ist, dessen Zähne werden zuerst geputzt!» Konkurrenzsituationen sind dynamisch, und es ist sehr verführerisch, diese Dynamik in der Schule, im Familien- oder Erziehungsalltag als Motivation und Antreiber zu benutzen.
Wenn ein Kind oft genug hört, wie toll und gut es Lego bauen kann, stehen bald nicht mehr das Interesse am Spielen selbst und die Faszination an den verschiedenen Möglichkeiten im Vordergrund, sondern der Wunsch, für das Tun gelobt zu werden und besser zu sein als die anderen.
Leider sind wir uns oft nicht bewusst, dass Konkurrenzsituationen - oft ausgelöst durch Lob - nicht nur die edlen Beweggründe der Kinder hin zu egoistischen Motiven verändert, sondern auch eine Form von Druck auslöst: Das Kind spielt nicht mehr unbeschwert und mit Freude, sondern möchte es das nächste Mal mindestens ebenso gut machen, um ein Lob zu erhalten oder um wenigstens nicht schlechter zu sein als die Kinder um es herum. Dieser Druck behindert unsere Kinder in ihrer Reifung. Um sich optimal zu entwickeln und ihr volles Potenzial auszuschöpfen, brauchen sie ein warmes Nest voller Ruhe, Sorglosigkeit und Unbeschwertheit oder - anders ausgedrückt - ein Leben voller Kooperation.
Im freien Spiel entdecken Kinder ihre Welt, entwickeln ihre Fähigkeiten und erweitern das persönliche Denken. Im Alltag und - sobald Kinder ein Gefühl für Regeln entwickeln - in kooperativen Spielen können wir unseren Kindern die Vorteile der Zusammenarbeit und das Schöne und Gewinnbringende am Miteinander vor Augen zu führen.
Aber wie sollen unsere Kinder fähig werden, mit Wettbewerbssituationen umzugehen und den Konkurrenzdruck auszuhalten, wenn wir sie davor bewahren? Die Frage ist hier nicht, ob sie in Konkurrenzsituationen kommen werden, sondern nur wann. Im Umgang mit anderen Kindern, spätestens aber in der Berufs- oder Partnerwahl werden sie mit «Knappheit» konfrontiert werden und damit verbunden der Konkurrenz nicht mehr ausweichen können.
Sobald Kinder gereift sind und auch verlieren können - etwa ab dem Schulalter - gilt es deshalb, Kinder spielerisch auf den «Ernstfall Leben» vorzubereiten. Im Spiel können sie gefahrlos ihre Fähigkeiten erproben, sich mit den eigenen Vorzügen und Kompetenzen, aber auch mit ihren Grenzen auseinandersetzen. Sie müssen lernen, Niederlagen auszuhalten. Sie sollen fähig sein zur Konkurrenz, aber - keine Lust dazu verspüren!
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 28. November 2016
Offene Fragen aus der letzten Sendung
Junge (5 ½) kommt nach Aufforderung oft nicht an den Esstisch.
- Kind bereits ins Kochen und Tischdecken einbeziehen. Dabei dem Kind etwas zutrauen, so fühlt es sich als nützlicher Teil der Familie.
- Alternativ das Problem proaktiv angehen: einerseits durch Aktivieren der Bindung, andererseits durch Vorankündigung des Essens.
Junge (2) tritt, beisst, kneift und schlägt regelmässig Eltern, Bezugspersonen und andere Kinder:
- Kleinkinder planen nicht, sondern handeln instinktgesteuert. Aggressive Kleinkinder sind frustrierte Kinder.
- Auf Trennungsstrafen (stiller Stuhl) verzichten. Sie vermehren Frust und Aggression.
- Kind in die Betreuung des dreimonatigen Geschwisters einbeziehen.
- Bei Angriffen Hände des Kindes festhalten: «Das dürfen die Hände nicht!» Klare Grenzen setzen, ohne feindlich aufzutreten.
- Schreien, «stämpfele» usw. sind angemessene Formen, um Frust auszudrücken, ohne jemandem zu schaden.
- Die bessere Alternative zur Wut ist das Weinen. Vielfach neigen wir dazu, das Weinen zu unterdrücken anstatt es gemeinsam auszuhalten.
- Je schlechter ein Kind sich benimmt, desto näher soll es die Bezugsperson zu sich nehmen.
- Alle Kinder (und Erwachsenen) brauchen Aufmerksamkeit. Das Verhalten von Kindern generell als Einfordern von Aufmerksamkeit zu deuten, ist respektlos. Das Wort «Provokation» setzt einen Plan voraus. Kleine Kinder können nicht bewusst provozieren, weil sie noch nicht empathisch sind. Allenfalls probieren sie gewisse Verhaltensweisen aus.
Schneller, besser, klüger, schöner…
Es gibt zwei Grundverhalten: den Konkurrenz- oder den Kooperationsmodus. Je nach Lebenssituation können beide Modi richtig sein. Wer zum Beispiel auf Brautschau oder Arbeitssuche ist, befindet sich im Konkurrenzmodus. Die meisten Lebenssituationen wären aber auf Kooperation angelegt. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, dass die meisten Gesellschaftsspiele (z. B. «Eile mit Weile») die Konkurrenz fördern, während Kinder sich im freien Spiel meistens im Kooperationsmodus befinden. Durch Konkurrenz wird das Spiel zum Ernstfall. Eine Möglichkeit, die Kooperation zu fördern, sind kooperative Spiele.
Oft vermitteln wir den Kindern die Grundbotschaft: «Schau, dass du im Konkurrenzkampf gewinnst und nicht verlierst!» statt «Schau, dass du mit Menschen zusammenarbeiten kannst!»
In der Schule ist der Konkurrenzmodus der Normalfall. Die Bewertung und das Vergleichen werden wichtiger als die Sache selbst. Kreativität ist aber nur im Rahmen von Kooperation möglich.
Fragen zum Monatsthema
Einzelkind (5) muss sich als besser darstellen, sobald andere Kinder da sind. Die Mutter interpretiert das Verhalten als Unsicherheit.
- Prahlen könnte als Alphasignal gegenüber jüngeren Kindern dienen. Je kleiner das Kind ist, desto wichtiger ist es, dass es in eine hierarchische Situation eingebunden ist. Das vermittelt ihm Stärke und Sicherheit.
- Sobald ein Kind stärker sein möchte als ältere Kinder oder gar seine Eltern, ist das eine schwierige Situation. Ein Kind sollte die Unterordnung bei fürsorglichen Erwachsenen lernen, damit es nachher die kleineren Kinder ebenso führen kann. Wenn Erwachsene ein kleines Kind absichtlich gewinnen lassen, verwirren sie es in Bezug auf die Hierarchie.
- Schüchternheit gegenüber fremden Kindern ist ein gutes Zeichen. Das Abwarten und Beobachten zeigt, dass das Kind an seinen Gefühlen dran ist. Es gibt Kinder, die wochenlang beobachten. Kinder sollten nicht frühzeitig dazu gezwungen werden, sich in die Gruppe zu integrieren.
- Bei Alleinerziehenden ist ein Bindungsdorf noch wichtiger.
Wie bringe ich mein Kind (9) dazu, die Hausaufgaben zuverlässig und mit Fleiss zu erledigen?
- Kleinkinder arbeiten noch nicht zielgerichtet, deshalb ist es bei jungen Schülern herausfordernder.
- Wichtig ist, dass die Schulaufgaben die Beziehung nicht belasten.
- Eltern sollten fürsorglich sein und sich anbieten zu helfen, aber keinen Druck machen. Die Verantwortung für die Hausaufgaben liegt beim Kind. Diese Richtigstellung der Bedürfnislage klärt die Hierarchie.
- Schlechtere Schulnoten sind oft nur vorübergehend, bis das Kind aus eigenem Antrieb lernt.
Junge (5): Im Konflikt droht Kindergartengspänli mit Rache durch Vater.
- Interaktionen im Kindergarten sind problematisch, weil die Kinder ausserhalb der hierarchischen Situation spielen.
- Kindergartenkinder sind noch nicht empathisch.
- Man kann gar nicht viel machen. Über die Kindergärtnerin könnte versucht werden, den Gleichaltrigenkontakt zu beschränken. Das Kind zu Hause auffangen, trösten, zu Tränen führen…
Wann tun Kinder einander gut? Wann nicht? Wie kann ich das erkennen?
Diese Frage hat uns gestern an einem Privatseminar intensiv beschäftigt. Wer von euch hat nicht mit Freude «Die Kinder von Bullerbü» gelesen, geschaut oder gehört? Wie schön, wenn Kinder so zusammen im Spiel aufgehen können. Oder etwa nicht?
Dein Kind kann in einer solchen Gruppe gut aufgehoben sein, solange es nicht in einen Loyalitätskonflikt zu dir und anderen wichtigen Bezugspersonen gerät - anders gesagt, solange das innerliche Band zu dir als Mama oder Papa ihm auch im Zusammensein mit seinen Freunden Halt gibt. Schön ist es, wenn du die Freunde deines Kindes kennst, wenn du deshalb weisst, wie in der Gruppe Hierarchien entstehen und wie sie erhalten werden. Wenn dein Kind dort Machtkämpfe erlebt oder gar das Faustrecht gilt, ist das so lange nicht weiter tragisch, als es mit dir darüber sprechen kann. Auch das gehört zum Spiel des Lebens.
Handlungsbedarf besteht dann, wenn du merkst, dass dein Kind nicht mehr erzählen mag, was läuft, oder wenn du spürst, dass es zu dir eher auf Distanz geht, weil die Mitglieder der Gruppe wichtiger geworden sind.
Handlungsbedarf besteht auch dann, wenn du spürst, dass dein Kind in der Gruppe so viel Beziehungsstress hat, dass es sich verhärtet, um sich zu schützen.
Beobachte solche Entwicklungen sorgfältig und reagiere frühzeitig. Sei dir bewusst, dass dein Einfluss nur so lange besteht, als sich dein Kind vor allem an dir orientiert. Wenn du den richtigen Zeitpunkt verpasst, dann bleibt oft nur ein hässlicher Machtkampf.
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 31. Oktober 2016
Diverse Themen
- Bei Zwillingen gibt es auch eine Hierarchie. Als Eltern sollte man die Hierarchie nicht bekämpfen, sondern gestalten.
- Wenn ein Kind fordert und du als Elternteil machst das plötzlich nicht mehr, dann kann das ein heilsamer Schock sein. Wenn ein Kind sich überordnet und fordert, dann sollte man etwas ändern.
Kinder brauchen andere Kinder
- Wenn ein Kind sich plötzlich an anderen Kindern orientiert statt an den Eltern, kann das ein Reifestolperstein werden.
- Dass Kinder mehr auf Gleichaltrige hören als auf die Eltern, wird oft bagatellisiert: Das sei halt normal, vor allem bei Teenagern.
- Kinder brauchen keine 23 gleichaltrigen Freunde. Freunde braucht man einen oder zwei, Kontakte braucht man mehr. Zu Kontakten hat man eine gewisse Distanz. Freunde lässt man näher ans Herz kommen. Kinder brauchen andere Kinder. Sie brauchen nicht viele, aber sie brauchen andere.
- Woran merke ich frühzeitig, ob der Umgang, den mein Kind mit Freunden oder Gruppen pflegt, gefährlich oder hilfreich ist? Wie merke ich, ob ich den Einfluss auf mein Kind verliere? Woran merken wir frühzeitig, dass der Kontakt zu Gleichaltrigen hilfreich ist oder eben nicht?
- Telefonanruf von Mutter: Ihr Kind hat kein Interesse an anderen gleichaltrigen Kindern. Ist das ein Problem? Ja, es ist ein Problem. Es gibt immer wieder Kinder, die sich zu Erwachsenen hingezogen fühlen, einfach weil Erwachsene einfacher zu handeln sind - sie sind nett, anständig und auch die Hierarchie ist klar. Bei Gleichaltrigen ist es viel aufreibender. Gleichaltrige ermöglichen ein Wechselspiel der Hierarchie. Es ist wichtig, dass das Kind das erleben kann. Eine Interaktion, die ein Kind lernen sollte - auf Augenhöhe mit dem Gegenüber umgehen können. Wenn es Möglichkeiten gäbe, eine Freundschaft mit einem Gleichaltrigem aufbauen zu können, wäre das gut.
- Chat-Frage: Regeln und Sitten gehen vergessen, wenn Besuch im Haus ist. Sind die Besucherkinder hierarchisch übergeordnet? Kinder stehen vielleicht nicht hinter den internen Regeln, sind dann nicht im Join-up.
- Chat-Frage: achtjähriger Sohn will, dass die Mutter ihn in die Schule begleitet, aber er möchte dann nicht geherzt werden vor den anderen. Ist sein Selbstwert noch nicht so gut? Ja, das könnte sein. Wichtig ist, das Kind nicht dem Spott auszusetzen.
- Schüchternheit ist etwas Gutes. Wenn Erwachsene falsch damit umgehen, ist das schwierig. Zum Beispiel dem Lehrer Mut machen, zu warten und dem Kind keinen Druck zu machen. Wie ist mein Kind im vertrauten Rahmen? Dort sollte es keine solche Schüchternheit haben, ansonsten müsste man dem Problem nachgehen.
- Telefonanruf: dreijähriges Kind reagiert stark negativ auf Baby-Geschwister. In diesem Alter ist das Kind gerne in der Fürsorgerrolle und würde gerne Mutter helfen. Wenn die Mutter das Kind einbeziehen könnte, wäre das sehr gut für das dreijährige Kind und es könnte besser mit dem neuen Geschwisterchen umgehen. Das würde seinem Selbstwert guttut. Über das Baby zum Kind reden: «Du musst nicht weinen, dein grosses Geschwister macht das super.» Auf der Seite des grösseren Kindes bleiben.
Kein Zweifel, es ist mühsam für dich, wenn dein Kind nicht tut, was es soll, frech ist und immer das letzte Wort hat.
Für dein Kind sind die Folgen wohl noch tiefgreifender. Du kannst nämlich - wenn das Problem andauert - jene Funktion nicht mehr richtig ausfüllen, die für dein Kind zentral ist: Du kannst ihm nicht mehr Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Die Folge ist, dass dein Kind unruhig ist und ständig auf der Suche nach verlässlichen Beziehungen. Viele Kinder übernehmen selber die dominante Rolle, oft auch im Umgang mit den Gleichaltrigen.
Nur ein Kind aber, das im abhängigen Modus gebunden ist, kann vom Schutz und von der Fürsorglichkeit der Eltern profitieren. Sobald es sich nicht mehr untergeordnet fühlt, steigt die Anspannung und die Unruhe. Das ist letztlich auch bei uns Erwachsenen so. Welcher Arbeitgeber erinnert sich in schlaflosen Nächten nicht dann und wann wehmütig an die Zeit, wo andere sich um die Bilanzen kümmerten.
Dieses Mail übrigens ist ein weiteres mit der gleichen Zielsetzung wie die letzten: Viele Eltern vergessen ob dem vielen Verständnis und der engagierten Einfühlung, wie wichtig es ist, im Alpha zu sein und zu bleiben. Vertrauenspädagogik ist nämlich absolut nicht antiautoritär - im Gegenteil: Autorität ist wichtig. Nur wenn ein Kind im abhängigen Modus gebunden ist, wenn es im Join-up ist, ist Raum da für die Reifung.
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 26. September 2016
Was der Widerstand mit unseren Kindern macht
- Welche Konsequenzen hat es für ein Kind, wenn es im Widerstand ist?
- z. B. Widerstand auf der «Egal-Schiene» oder wenn es immer nein sagt. Damit sind nicht Kinder gemeint, die dauernd feindlich gestimmt sind (anderes Thema).
- Es sind Kinder gemeint, für die es nicht stimmt etwas zu tun was wir als Eltern ihm sagen.
- Wenn wir als Eltern etwas sagen und das löst in meinem Kind tendenziell Ablehnung und Widerstand aus, was hat das für Konsequenzen für mein Kind?
- 1. Konsequenz: Es löst in Eltern üble Gefühle aus. Kind merkt, dass es bei Eltern nicht gut ankommt und das kann sich hochschaukeln. Dann suchen wir als Eltern einen Ersatz für das, was wir Join-up nennen - wir üben Druck aus, schreien etc. und das Kind bekommt das Gefühl, dass sich Eltern nicht mehr über sie freuen können, wenn sie es sehen.
- 2. Konsequenz: Es ist für das Kind eine Überforderung, an der Spitze der Hierarchie zu stehen. Ein Kind, das sich nicht im abhängigen Modus gebunden fühlt, ist dadurch unter Dauerstress. Viele negative Verhalten kommen aus dieser Situation bzw. Spannung heraus. Häufige Folge ist, dass Kinder schlecht schlafen. Das Kind fühlt sich nicht geborgen, sondern ist nervös und angespannt. Ein Kind kann nicht in den gesunden Schlaf fallen, wenn es nicht im Frieden ist.
- Darum ist es so wichtig, dass das Kind hierarchisch untergeordnet ist.
- Wir sprechen heute darüber, wie wir das Kind aus einer falschen Hierarchie herausführen können.
- Viele Kinder haben den Eindruck: «Ich habe jederzeit ‹Zugriff auf den Bildschirm meiner Mutter›. Meine Mutter ist immer und jederzeit für mich da - und zwar nicht im Sinne eines Schutzes in der Not, sondern sie steht mir jederzeit zur Verfügung, damit sie mich unterhält, mir alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Ich kann immer mit ihr sprechen und erhalte die volle Aufmerksamkeit.» Das ist gefährlich.
- Wenn das Kind sich so verhält, reagieren wir als Eltern nicht mehr so, dass wir sagen: «Lass mich doch schnell in Ruhe. Ich telefoniere oder lese oder …», denn so fühlt sich das Kind weggewiesen, ist frustriert und wird noch mehr Druck ausüben. Denn es ist sich ja gewohnt, immer Vorrang zu haben. Das ist ein Hierarchiesignal. Man nimmt nicht die untergeordnete Position ein, wenn man ständig Aufmerksamkeit einfordern kann. Denn dann ist man sich gewohnt derjenige zu sein, der das Sagen hat. Empfohlen ist folgende Übung: Wenn ein Elternteil im Gespräch oder anderweitig beschäftigt ist und das Kind Aufmerksamkeit will, dann nimmt man das Kind nahe zu sich (so fühlt sich das Kind nicht abgewiesen, macht keine Trennungserfahrung durch), aber man macht weiter mit dem, womit man beschäftigt war (Telefon, lesen etc.). Die eigenen Pläne werden nicht durch das Kind über den Haufen geworfen. Man nimmt das Kind nahe zu sich und sagt: «Warte einen Moment.» Das Kind soll dann warten. Als Eltern weiss man, wie lange ein Kind warten kann, bevor es frustriert reagiert. Aber die Eltern bestimmen, wie lange das Kind warten soll. Das ist ein gutes Hierarchiesignal.
- Ein wichtiger Punkt ist auch, die Hierarchie unter den Geschwistern zu beachten. Es ist wichtig, dass man nicht das ältere Kind vor dem jüngeren kritisiert.
- Wenn das Kind die «Egal-Schiene» fährt, kann man darauf achten, wann das Kind etwas von mir will. Wie spricht das Kind mich als Elternteil an? Untergeordnet oder fordernd? Wir dürfen nicht dulden, wenn das Kind in einem falschen Tonfall mit uns redet.
Wir haben im letzten Monat das Zuviel an Freundlichkeit thematisiert. Lies den Brief vielleicht nochmals nach, falls du ihn nicht mehr in Erinnerung hast. Sie sind ja alle hier abgelegt.
Vielleicht hast du Lust, bis am Montag die gleichen Gesetzmässigkeiten bei deinen Kindern zu beobachten. Es gibt die beiden Arten von Freundlichkeit auch bei ihnen: Die eine, die aus dem Herzen kommt und genährt ist von Fürsorglichkeit und Wohlwollen. Die andere stammt aus dem Wunsch, die Kooperation des kleinen Geschwisters zu gewinnen, es vielleicht schmeichlerisch dazu zu bringen, das ältere endlich in Ruhe zu lassen oder ihm etwas Attraktives zu überlassen. Vielleicht soll das gute Zureden auch den Unmut des Kleineren beschwichtigen und zwar so, dass die Mama nicht einschreitet.
Auch hier gilt: Freundlichkeit, die mit der Absicht daherkommt, das Gegenüber freundlich zu stimmen, ist ein Unterordnungssignal.
Je mehr die Hierarchie durcheinandergerät, desto weniger kann das kleinere Geschwister sich angemessen verhalten, und es verliert auch das gute Gefühl, von den älteren Geschwistern geliebt und beschützt zu werden.
Ein solches Verhalten, wo ein älteres Kind sich unterordnet, kann natürlich auch sinnvoll und angemessen sein. Ein schönes Beispiel haben wir gestern mit zwei Enkeln erlebt (er sechsjährig, sie dreijährig), die in einer wunderschönen Hierarchie friedlich zusammenleben. Er schwamm - flügelibewehrt - neben mir her und musste alles geben, das Ufer zu erreichen. Da kam die kleine Schwester mit einem Gummiboot daher. Er fragte ganz lieb: «Darf ich einsteigen, bitte?» Wieweit meine Anwesenheit da noch Einfluss hatte, weiss ich nicht, aber die Kleine überliess ihm ohne zu zögern grosszügig ihr Bötchen. Wie es herausgekommen wäre, wenn er ihr das Ding einfach entrissen hätte, können wir uns sicher alle vorstellen.
Talk über das Monatsthema
Livesendung vom 29. August 2016